Berliner Terroranschlag Verdächtigter Bekannter von Anis Amri wieder frei

Berlin/Karlsruhe (dpa) - Eineinhalb Wochen nach dem Lkw-Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt stehen die Ermittler auf der Suche nach Hintermännern mit leeren Händen da.

Anis Amri.

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Ein vorläufig festgenommener Tunesier, dessen Nummer der mutmaßliche Attentäter Anis Amri in seinem Handy hatte, ist nicht die gesuchte Kontaktperson Amris und deshalb wieder auf freiem Fuß. Ermittlungen zu Tatbeteiligten, Helfern und Mitwissern liefen „mit unveränderter Intensität“ weiter, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Ein Video, in dem der Tunesier Amri sich zur Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hat, hält die Karlsruher Behörde für authentisch. Das IS-Sprachrohr Amak hatte den dreiminütige Film veröffentlicht, nachdem Polizisten in Italien den 24-Jährigen erschossen hatten. Darin schwört Amri dem IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue. Bei dem Anschlag vom 19. Dezember wurden zwölf Menschen getötet und mehr als 50 verletzt. Es wäre der schwerste islamistische Anschlag in der Geschichte Deutschlands.

Den Ermittlungen zufolge hat ein automatisches Bremssystem in dem Lastwagen, mit dem der Attentäter auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche fuhr, noch Schlimmeres verhindert. Das Bremssystem habe das Fahrzeug nach 70 bis 80 Metern zum Stehen gebracht, sagte die Sprecherin der Karlsruher Ermittlungsbehörde.

Als sicher gilt inzwischen, dass Amri über die Niederlande und Frankreich nach Italien floh. Die Ermittlungen zu Videos aus Überwachungskameras, die ihn örtlichen Behörden zufolge unter anderem in Lyon und Turin zeigen, laufen laut Bundesanwaltschaft noch. Ein Zugticket, dass man bei Amri gefunden habe, belege einen Weg vom französischen Chambéry nach Mailand. Auch mit einem Fernbus soll der Tunesier nach dem Anschlag unterwegs gewesen sein. „Wir stehen im engen Austausch mit internationalen Ermittlungsbehörden“, sagte die Sprecherin des Unternehmens Flixbus am Donnerstag.

Noch nicht geklärt ist, ob Amri in Italien mit der selben Waffe auf Polizisten geschossen hat, die auch im Führerhaus des Lkw in Berlin verwendet wurde. Das Kaliber sei das gleiche, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Für weitere ballistische Untersuchungen sei ein Abdruck des Projektils, das man im Laster gefunden habe, nach Italien geschickt worden.

Offen bleibt vorerst auch, wann der polnische Fahrer starb, mit dessen Lkw der Anschlag verübt worden war. Rettungskräfte hatten ihn auf dem Beifahrersitz gefunden. Mit Messerstichen sei er einem vorläufigen Obduktionsbericht zufolge nicht verletzt worden, sagte die Sprecherin. Der Todeszeitpunkt liege demnach „in zeitlicher Nähe zum Anschlagszeitpunkt“. Klarheit soll der endgültige Obduktionsbericht bringen, der für Januar angekündigt ist.

Zum Hergang der Tat, zur Fluchtroute und zur Identität der Opfer sind noch immer viele Fragen offen. Auch in Italien laufen Ermittlungen zu möglichen Unterstützern Amris. Bisher habe sich aber nicht erwiesen, dass er ein spezielles Netzwerk gehabt habe, sagte Ministerpräsident Paolo Gentiloni.

Immer deutlicher wird, dass Amri mehrfach im Fokus von Ermittlungsbehörden stand. Nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR wurde im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) in Berlin zwischen Februar und November 2016 mindestens sieben Mal über Amri gesprochen. Behördenunterlagen, die nur fünf Tage vor der Tat entstanden, beschrieben demnach seinen Werdegang in Deutschland.

Die Staatsanwaltschaft in Duisburg hatte ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs im April eröffnet, wie ein Sprecher sagte. Zuvor hatte „Spiegel Online“ berichtet. Amri nutze mehrere Identitäten und beantragte Sozialleistungen unter verschiedenen Namen.

Auch bei der Berliner Staatsanwaltschaft wurde Amri aktenkundig. Innenstaatssekretär Torsten Akmann hatte bei einer Innenausschusssitzung nach dem Anschlag berichtet, dass es gegen den Tunesier 2015 zwei Ermittlungsverfahren gab. In einem Fall sei es um Verdacht auf Körperverletzung auf dem Gelände des Berliner Flüchtlingsamtes Lageso gegangen, in einem anderen um „mittelbare Falschbeurkundung“. Der „Spiegel“ schreibt, vor dem Lageso solle Amri einem Wachmann ins Gesicht geboxt haben. Er sei offenbar unter dem Namen „Ahmad Zaghoul“ aufgetreten.

Die Opposition im Bundestag fordert Aufklärung darüber, welche Informationen den Behörden vor dem Anschlag über Anis Amri vorlagen. „Wir reden über Videoüberwachung und Fußfesseln, aber über das, was falsch gelaufen ist, reden wir nicht“, sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz der Deutschen Presse-Agentur.

Sein Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, man werde im Eilverfahren einen Untersuchungsausschuss beantragen, falls nicht schnell klare Informationen kämen. Auch die Linksfraktion kündigte in der „Berliner Zeitung“ an, nach der Wahl notfalls einen Ausschuss zu beantragen.

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag verlangt ebenfalls Aufklärung. Auf Antrag von CDU, FDP und Piraten beschäftigt sich der dortige Innenausschuss in einer Sondersitzung am 5. Januar mit dem Fall.