Interview Verfassungsschutz-Chef: „Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt“

Der aus Wuppertal stammende Thomas Haldenwang sagt: Wir haben eine Vielzahl von Anschlägen verhindert  und die Prioritäten richtig gesetzt.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im Gespräch in der Wuppertaler Redaktion.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Herr Haldenwang, ihre Behörde und die Position des Präsidenten sind zuletzt ungewöhnlich in die Öffentlichkeit geraten.

Thomas Haldenwang: Ich habe kein Problem mit Öffentlichkeit, und ich äußere mich auch, aber dann, wenn es etwas zu sagen gibt. Es ist bei mir nicht so, dass ich mein Gesicht in regelmäßigen Abständen in der Zeitung sehen muss. Anlassbezogen tauche ich schon auf, und das hat es ja auch schon gegeben. Aber die Erwartungshaltung an mich ist, dass wieder mehr Sachlichkeit einkehren soll, und darum bemühe ich mich.

Mit das erste, was über Sie zu lesen war, ist die Ankündigung vertraulicher Gespräche mit der AfD gewesen.

Haldenwang: Dazu gab es keinen Tatsachenrückhalt. Ich habe nichts dergleichen angekündigt.

Gab es jemals Gespräche von Ihnen mit der AfD?

Haldenwang: Ich habe weder als Vizepräsident noch als Präsident Gespräche mit Abgeordneten oder Funktionären der AfD geführt. Und ich habe ansonsten im politischen Raum zahlreiche Gespräche geführt.

Und solche Gespräche wird es auch nicht geben?

Haldenwang: Ich beabsichtige nicht, solche Gespräche zu führen. Da zwei Teilorganisationen der AfD, die Junge Alternative und der „Flügel“, nun als Verdachtsfall im BfV bearbeitet werden, möchte ich mich nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen.

Aber es finden Gespräche Ihrer Behörde mit Parteienvertretern statt. Sie gingen auch nicht zur AfD, wenn sie eingeladen würden?

Haldenwang: Das Amt als solches würde sich solchen Gesprächen nicht verweigern. Auch die AfD hat einen Anspruch darauf, von uns sachgerecht informiert zu werden. Aber das muss nicht der Präsident in Person tun.

Wie politisch ist die Arbeit des Verfassungsschutzes?

Haldenwang: Das Amt hat keine eigene politische Agenda. Wir beraten die Politik und die Regierung in Sicherheitsfragen. Wir sind das Frühwarnsystem der Demokratie. Wenn die Regierung Entscheidungen trifft, dann haben wir das nicht zu kritisieren oder zu kommentieren, sondern dann müssen wir als Amt, als Behörde diese Entscheidungen bestmöglich umsetzen.

Sie haben gesagt, dass die Verfassungsschutzbehörde mehr nach rechts schauen muss. Haben wir da eine größere Gefahrenlage als etwa in den 1970er Jahren?

Haldenwang: Als ich 2013 das Amt des Vizepräsidenten übernommen habe, musste das Amt sich mit den Folgen des NSU-Falls auseindersetzen. Damals haben wir uns intensiv Gedanken darüber gemacht, wie sich der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden insgesamt aufstellen müssen, damit sich so ein Vorgang nicht wiederholen kann. Wir standen damals in der Kritik, auf dem rechten Auge blind zu sein. Wir haben dann unter meiner Leitung einen umfangreichen Reformprozess durchgeführt, wir haben die Methodik überprüft, die Ausbildung vereinheitlicht und die Zusammenarbeit mit den anderen Sicherheitsbehörden auch durch die Einrichtung eines Extremismus-Abwehrzentrums intensiviert, um Wissenslücken zwischen den einzelnen Behörden nach Möglichkeit auszuschließen. Da ist unendlich viel passiert.

Viel passiert ist auch im Zusammenhang mit dem gescheiterten NPD-Verbot, weil das mit den V-Leuten nicht funktionierte. Werden Sie daraus Konsequenzen ziehen?

Haldenwang: V-Personen – das ist aus unserer Sicht schon ein unverzichtbares Instrument der nachrichtendienstlichen Arbeit. Daran werden wir festhalten. Bestimmte Informationen kann man nur über sogenannte V-Personen gewinnen, die übrigens keine Beschäftigten des Verfassungsschutzes sind. Es ist wichtig, dass wir bei der Auswahl Standards einhalten und uns mit anderen Behörden austauschen, damit in einem Szeneobjekt nicht plötzlich mehr V-Personen sind als Szeneangehörige. Das zweite NPD-Verbotsverfahren ist aber nicht an der Frage der V-Personen gescheitert, sondern an den inhaltlichen Verbotsvoraussetzungen, das haben wir aus dem ersten Verfahren gelernt.

Wie schließen Sie das aus?

Haldenwang: Als Folge des NSU-Falls wurde der Einsatz von V-Personen im Verfassungsschutzverbund kontinuierlich optimiert. Wir haben mit den Landesverfassungsschutz-Behörden eine gemeinsame V-Personen-Datei eingerichtet, damit immer klar ist, welche Behörde welche V-Personen einsetzt. Außerdem müssen auch gewisse Standards bei der Auswahl und der Führung beachtet werden. Unter diesen Voraussetzungen muss auch in Zukunft weiter mit V-Personen gearbeitet werden.

Und nach dem NSU-Desaster kam der islamistische Terror.

Haldenwang: Das Thema Rechtsextremismus wurde durch die Entwicklung des islamistischen Terrorismus, durch den Jihad-Tourismus und die Anschläge überlagert. 2016, 2017 haben wir sehr viele Ressourcen in den Bereich stecken müssen, um einfach Anschläge in Deutschland verhindern zu können. Jetzt haben wir eine neue Situation. Eine neue Blüte im Rechtsextremismus, die sich am Beispiel Chemnitz wie unter einem Brennglas gezeigt hat.

Inwiefern?

Haldenwang: Dort agieren nun verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen zusammen, machen gemeinsam Propaganda und können durch die sozialen Medien binnen kürzester Zeit deutschlandweit viele Leute auf die Straße holen, auch unter Verwendung von Fake News und Desinformation. Plötzlich hatten auch die Protestbürger auf der Straße kein Problem mehr damit, sich diesen Rechtsextremisten anzuschließen. Das ist auch eine neue Entwicklung. Früher hat man sich davon distanziert. Aus so einer Melange kommt es dann auch zur Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen jüdische Einrichtungen, es entstanden Bürgerwehren. Das sind Entwicklungen im Rechtsextremismus, die nicht nur in Chemnitz vorkommen.

Sie haben die sozialen Medien erwähnt. Ist der Verfassungsschutz angesichts dieser neuen Kommunikationswege gut genug aufgestellt?

Haldenwang: Mit sozialen Medien müssen wir uns befassen, sowohl in ihrer Eigenschaft als Mittel der Kommunikation wie auch als Mittel der Desinformation. Extremisten nutzen sie für ihre Propaganda, außerdem ist das ein Kommunikationsfeld, auf dem man völlig ungehemmt Gewaltphantasien ausleben kann. Das Problem ist die schier unübersehbare Menge an Anbietern, Nutzern und Inhalten in sozialen Medien. Hier möglichst zeitnah das für unsere Arbeit Relevante herauszufiltern geht händisch nicht mehr. Hier brauchen wir technisch und eventuell auch rechtlich neue Möglichkeiten, ohne dass wir die sozialen Medien in Gänze überwachen wollen.

Haben Sie genügend Beinfreiheit?

Haldenwang: Es wird immer schwieriger, die Kommunikation unserer „Kundschaft“ zu verfolgen. In ganz bestimmten, begrenzten Fällen haben wir die Möglichkeit nach den Regeln des Artikel 10-Gesetzes zur Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses Kommunikation mitzuverfolgen. Aber wir brauchen für jeden Einzelfall eine Genehmigung der für solche Fälle extra zuständigen und unabhängigen G10-Kommission.

Und das genügt?

Haldenwang: Es gab Zeiten, da hat das genügt. Die Kommunikationsmöglichkeiten heutzutage sind nahezu unbegrenzt und entwickeln sich weiter. Wir haben es mit ständig wechselnden Kommunikationsdiensten und Messengern sowie zunehmend auch mit ausländischen Providern zu tun. Mit Verschlüsselung, mit nomadisierender Kommunikation über verschiedene W-Lan-Spots. All das macht uns in gewisser Weise taub. Wir nennen diesen Prozess „going dark“.

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Haldenwang: Wir brauchen allein für den Erhalt unserer bisherigen Befugnisse eine rechtliche und technische Fortentwicklung der Überwachungsinstrumente der deutschen Nachrichtendienste. Da ist es ganz wichtig, dass wir gesetzlich ein Regelwerk zur Verfügung gestellt bekommen, dass uns wieder auf die Höhe der Zeit bringt. Wir wollen nicht ein Mehr, sondern wir wollen wieder auf den Stand kommen, den wir in den 1960er, 70er, 80er Jahre auch hatten. Dazu wären Gesetzesanpassungen nötig, um die wir uns auch bemühen.

Ist es noch zeitgemäß, mit einem Bundesamt und 16 Landesämtern für Verfassungsschutz unterwegs zu sein?

Haldenwang: Es ist schon ganz wesentlich, dass Verfassungsschutzbehörden auch in der Fläche präsent sind. Wir können die Bearbeitung sämtlicher Extremismusformen nicht von Berlin und Köln aus gewährleisten. Es ist hilfreich, dass es Landesämter für Verfassungsschutz gibt, die wertige Informationen aus den regionalen Szenen beisteuern. Diese Informationen müssen zusammengeführt werden. Und das Selbstverständnis ist inzwischen so, dass wir uns mit den Landesämtern als Verfassungsschutz-Verbund wahrnehmen.

Vor einigen Tagen ist ein Dschihadist aus Solingen bei einem Drohnenangriff getötet worden. Die Stadt gilt als Dschihadisten-Hochburg. Ist das so?

Haldenwang: Wir dürfen uns nicht wundern, dass wir auch im Bergischen Land Menschen haben, die in den Dschihad gezogen sind. Bundesweit sprechen wir von 1050 Personen, die in den Irak und Syrien gezogen sind, um dort zu kämpfen. Da ist es zwangsläufig, dass wir in allen Regionen so etwas finden. Wir hatten allerdings vor einigen Jahren im Bergischen einen kleineren Hotspot. Nach wie vor gibt es in dieser Region eine islamistische Szene, die würde ich im bundesweiten Vergleich aber nicht als besonders bedeutsam ansehen.

Welche Rolle spielt die Autonome Szene noch in der Arbeit Ihrer Behörde?

Haldenwang: Auch da müssen wir sehen, dass der gewaltorientierte Linksextremismus immer wieder neue Blüten treibt. Die Zahlen der Anhängerschaft steigen zwar nicht rasant, aber die Gewaltorientierung nimmt deutlich zu. Das haben der G-20-Gipfel in Hamburg und auch die Ereignisse im Hambacher Forst gezeigt. In den Baumhäusern leben nicht nur diejenigen, die legitime Anliegen wie alternative Energie und Umweltschutz haben, für die man natürlich auch demonstrieren kann.

Dennoch: Verglichen mit anderen Ländern scheint Deutschland gegen Terror gut gewappnet zu sein. Nur Glück?

Haldenwang: Wir haben auch in Deutschland ein großes islamistisch- terroristisches Personenpotenzial, da reden wir von 2240 Menschen in Deutschland. Theoretisch ist denkbar, dass jeden Tag irgendwo in Deutschland ein Anschlag passieren könnte. 2016 hatten wir sechs Fälle, 2017 auch nochmal einen. Wir haben eine Vielzahl von Anschlägen verhindert. Da leisten die Sicherheitsbehörden in Deutschland gute Arbeit. Aber wir sind auch sehr wachsam und haben in den vergangen zwei Jahren die Prioritäten glücklicherweise richtig gesetzt.

Aber insgesamt scheint es hier doch sicher zu sein?

Haldenwang: Das ist eine Botschaft, die ich immer wieder loswerden will. Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt, in einer der gefestigsten Demokratien der Welt. Umso schockierender war für uns, dass wir erleben mussten, dass auch bei uns solche Anschläge möglich sind. Das hat aber auch einige wachgerüttelt und dazu geführt, dass die Politik uns zusätzliche Mittel gewährte, um dieser Gefahr begegnen zu können.

Wie viele Leute beschäftigt Ihre Behörde?

Haldenwang: Ich würde mal sagen, wir bewegen uns bei 3500.

Aufwachsend?

Haldenwang: Das ist auch noch weiterhin aufwachsend. Uns wurden in den vergangenen Jahren vom Parlament Stellenzuwächse bewilligt, und ich hoffe, dass das in den kommenden Jahren in angemessener Weise weiter so geschehen wird.

Terroristen, Gewalttäter, Giftanschläge auf Spione, Cyber-Angriffe auf Parlamente: als Verfassungsschützer sehen Sie die allgemeine Entwicklung deutlicher als andere. Ist die Welt noch nicht verrückt geworden?

Haldenwang: Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Die Konflikte auf der Welt werden zum Teil auch in Deutschland ausgetragen. Personengruppen beteiligen sich von Deutschland aus an Konflikten, die in der Welt stattfinden. Durch die Medien sind wir weltweit vernetzt. Das trägt vielleicht zu so einem Eindruck bei.

Aber Sie können ihn entkräften.

Haldenwang: Ich will das alles nicht so schwarz malen. Die große Überschrift muss sein: wir leben in einem der sichersten Länder dieser Welt. Ich glaube auch, die Politik achtet sehr genau darauf, dass das so bleibt. Da fühlen wir uns als Sicherheitsbehörde gut unterstützt. Es ist nur wichtig, dass wir auf der Höhe der Zeit bleiben, auf die Entwicklungen reagieren und uns darauf einstellen.

Haben Sie lange überlegen müssen, die Nachfolge von Hans-Georg Maaßen anzutreten?

Haldenwang: Nein. Überhaupt nicht. Ich kenne das Geschäft seit mehr als zehn Jahren. Ich bin in der Community zu Hause, sowohl national als auch international. Ich kenne die Arbeitsweise unseres Hauses. Und ich finde, es gibt nichts Befriedigenderes, als die Sicherheit unseres Landes zu schützen und zu verteidigen. Es war für mich selbstverständlich, dieses Amt anzutreten, das allerdings auch nicht jeden Tag vergnügungssteuerpflichtig ist.