Verneigung vor „Mister Euro“
Die Währung ist Jean-Claude Trichets Lebensthema. Am Donnerstag erhält der Chef der Europäischen Zentralbank den Karlspreis.
Aachen. Am Anfang war Jean-Claude Trichet ein deutsches Zugeständnis. Als die Staats- und Regierungschefs der EU im Mai 1998 den Euro aus der Taufe hoben, sah sich Bundeskanzler Helmut Kohl einer Forderung des französischen Präsidenten Jacques Chirac gegenüber, an der die ganze Sache in letzter Minute zu scheitern drohte: Jetzt und hier müsse vereinbart werden, dass ein Franzose an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) käme. Der erste EZB-Chef Wim Duisenberg — Wunschkandidat der Deutschen — müsse dem Pariser Notenbank-Boss Trichet Platz machen.
Kohl kochte, gab aber nach. Einen schlechteren Einstieg hätte Trichet bei den Deutschen nicht haben können. Was danach kam, ließ den unglückseligen Auftakt aber rasch verblassen: Als europäischer Chefbanker, der er 2003 wurde, agierte Trichet ganz im Sinne der deutschen Stabilitätsphilosophie: Dämpfung des Preisanstiegs müsse oberstes Ziel der Zentralbank sein und bleiben. Trichet verteidigte die Unabhängigkeit der EZB selbstbewusst und zäh. Bald nannte man ihn „Mister Euro“.
Wenn nicht vor zwei Jahren die große Finanz- und Schuldenkrise ausgebrochen wäre, hätten die Deutschen den 68-Jährigen, der am Donnerstag in Aachen den Karlspreis bekommt, zum Ehrenbürger ernennen müssen: Er hielt die Inflation verlässlich im angepeilten Korridor knapp unter zwei Prozent, die gemeinsame Währung erfreute sich bei den Anlegern eines guten Rufes, die Wirtschaft konnte sich über niedrige Zinsen freuen.
Erst im Verlauf der Krise hat sich das Bild eingetrübt. Der Preisanstieg ist steiler geworden, die Zukunft des Geldverbundes steht grundsätzlich in Frage, und über die richtige Antwort auf die dramatischen Schulden-Turbulenzen um Griechen, Iren und Portugiesen war sich der wackere Trichet nicht mehr in jedem Punkt mit den Deutschen einig.
Zwar war er es, der vor einem Jahr den Staats- und Regierungschefs die Augen über die Dimensionen des Problems öffnete. Aber dass die EZB durch den Ankauf griechischer Staatsanleihen von der Krise profitiert hat, war aus Sicht der Deutschen um Bundesbankchef Axel Weber ein Sündenfall.
Im Herbst wird Trichet von dem Italiener Mario Draghi abgelöst. Der Karlspreis — er zeichnet seit 1950 Menschen aus, die sich um Euopa verdient gemacht haben — ist somit auch als Würdigung seines Lebenswerkes zu verstehen.
In der Begründung heißt es, Trichet sei ein „europäischer Staatsdiener, der sich in schwieriger Zeit um den Zusammenhalt der Währungsunion herausragende Verdienste erworben hat“. Die Laudatio bei der Preisverleihung am Donnerstag im Aachener Rathaus hält der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso.