Ende der Atom-Ära bringt Kommunen Millionenverluste

Berlin (dpa) - Schulen, Kulturzentren und Arbeitsplätze verdanken einige deutsche Kommunen „ihren“ Atomkraftwerken. Mit dem beschlossenen Aus für die Meiler fallen mancherorts nun sprudelnde Steuerquellen weg.

„Wir erwarten jährliche Mindereinnahmen in Höhe von rund drei Millionen Euro“, rechnet Walter Link vor, Kämmerer im baden-württembergischen Neckarwestheim. „Uns fehlen 1,5 bis 2 Millionen Euro“, sagt der Philippsburger Bürgermeister Stefan Martus (CDU) in einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. Hunderte Arbeitsplätze halten die meisten Befragten in den kommenden 10 bis 20 Jahren für sicher. So lange dauere der Rückbau der Meiler.

Nach dem Beschluss der Bundesregierung sollen die Anlagen Philippsburg I, Biblis A und B, Neckarwestheim I, Brunsbüttel, Isar I, Unterweser und Krümmel nicht wieder ans Netz genommen werden.

„Die EnBW ist der größte Steuerzahler am Ort“, erläutert der Neckarwestheimer Kämmerer Link. Dennoch schätzt er die erwarteten Ausfälle „aus heutiger Sicht als verkraftbar“ ein. „Wir sind dann keine reiche Steuerkraftgemeinde mehr. Das bringt uns aber nicht um“, sagt er. Neckarwestheim baut gerade eine neue Kulturhalle, und eine Schule wurde renoviert.

Auch in Philippsburg nimmt es Bürgermeister Martus (CDU) relativ gelassen. „Wir stellen uns schon seit Mitte letzten Jahres auf die Zeit nach Atom nein.“ Dank der jährlichen Steuermillionen des Kraftwerksbetreibers EnBW konnte sich der 12 600-Einwohner-Ort ein Gymnasium, eine Realschule und eine Förderschule leisten. Nun steht Haushaltskonsolidierung an oberster Stelle. Nach Meinung des Bürgermeisters soll Philippsburg mit seiner Strominfrastruktur Energiestandort bleiben. Mit 87 500 Quadratmetern steht dort bereits das größte Solardach Deutschlands auf einem Logistikzentrum.

Hildegard Cornelius-Gaus (parteilos), Bürgermeisterin im hessischen Biblis, sagte am Mittwoch: „Das Kernkraftwerk bringt weit über 50 Prozent unserer Gewerbesteuer.“ Nach Angaben der Kämmerei nahm die 9000 Einwohner zählende Kommune 2009 Gewerbesteuer von insgesamt 8,1 Millionen Euro ein. Für dieses Jahr seien rund 14,4 Millionen Euro veranschlagt.

Doch das Atomkraftwerk, in dessen beiden Blöcken nach Angaben des Betreibers RWE mehr als 1000 Menschen beschäftigt sind, spült nicht nur Geld in den Gemeindesäckel. Auch die örtliche und die regionale Wirtschaft profitieren - vor allem Handwerksbetriebe, Hotels und Gaststätten. Laut RWE beträgt das Auftragsvolumen an Firmen aus der Metropolregion Rhein-Neckar jährlich rund 70 Millionen Euro.

In Schleswig-Holstein an den Standorten der AKW Krümmel und Brunsbüttel hat man sich inzwischen an die fehlenden Millionen gewöhnt: „Wir verlieren gar nichts, weil unser Atomkraftwerk seit vier Jahren stillsteht“, sagte der Bürgermeister von Geesthacht, Volker Manow (parteilos). Im dortigen AKW Krümmel arbeiten nach seinen Angaben etwa 400 bis 450 Menschen.

Wie viel Gewerbesteuern früher gezahlt wurden, wollte Manow nicht sagen. Nach dpa-Informationen sind von 1997 bis 2007 rund 90 Millionen Euro aus der AKW-Quelle in der Gemeinde verblieben. Die 30 000-Einwohner-Stadt hat aber schon einen neuen Gewerbesteuerzahler und Arbeitgeber ins Auge gefasst: Eine Akkumulatorenfabrik hat laut Manow angekündigt, nach Geesthacht kommen zu wollen.

Die bayerische Gemeinde Essenbach, zuständig für die Anlage Isar I, die Stadt Brunsbüttel und das niedersächsische Stadland mit dem AKW Unterweser berufen sich auf das Steuergeheimnis und machen keine Angaben zur Gewerbesteuer. Neben den rund 400 Beschäftigten im Kraftwerk Unterweser hängen dort mehr als 300 weitere Arbeitsplätze an Zulieferern und Handwerksbetrieben.

Eine Sprecherin der Isar-Kernkraftwerke sagte, dass in dem Block etwa 300 Mitarbeiter beschäftigt seien. Da die Brennelemente noch fünf Jahre im Abkühlbecken bleiben, würden mehr als 160 Mitarbeiter auf jeden Fall erstmal an der Anlage weiter beschäftigt werden.