Bundestag einig Verschärfung des Sexualstrafrechts: „Nein“ soll auch „Nein“ heißen

Der Bundestag befasst sich am Donnerstag mit dem Vergewaltigungsparagrafen. Der Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink spielt eine Rolle.

Bei der Abstimmung im Bundestag stimmen 601 für den Gesetzentwurf.

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Berlin /Update Donnerstag: In namentlicher Abstimmung haben die Bundestagsabgeordneten am Donnerstag den Gesetzesentwurf zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung angenommen. Ergebnis: 601 Ja-Stimmen, das bedeutet einstimmig. Damit wurde das strenge Prinzip „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht verankert. "Jeder, der einen Willen hat und zum Ausdruck bringen kann, ist in Zukunft durch diesen Grundsatz geschützt“, sagte die Rechtsexpertin der Union im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), in einer Debatte vor der Verabschiedung der Gesetzesreform. „Ein schlichtes Nein muss reichen.“

Gina-Lisa Lohfink im Berliner Amtsgericht.

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Berlin/Mittwoch. Nein heißt Nein — unter dieser Überschrift wird über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts debattiert. Seit vielen Monaten wird das Thema diskutiert, am Donnerstag will der Bundestag über eine Neuregelung des Vergewaltigungsparagrafen entscheiden. Getrieben wird die politische Debatte durch einen Prozess, der vor einem Amtsgericht in Berlin verhandelt wird: der Fall Gina-Lisa Lohfink.

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Nach dem bisherigen § 177 des Strafgesetzbuches macht sich ein Täter nur dann strafbar, wenn er Gewalt angewendet oder damit gedroht hat. Oder wenn er eine schutzlose Lage des Opfers ausgenutzt hat. Hat das Opfer — in den meisten Fällen ist es eine Frau — zwar „Nein“ gesagt, sich aber nicht gewehrt, so dass der Täter keine weitergehenden Zwangsmittel anwenden musste, kann er straflos ausgehen.

Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung soll es in Zukunft schon dann möglich sein, wenn der Täter zwar keine Gewalt anwendet, wohl aber dem Opfer gedroht hat und sich dieses aus Furcht nicht gewehrt hat. Oder wenn das Opfer aufgrund der überraschenden Handlungen des Täters keinen Widerstand leisten kann. Nach vielen Diskussionen sieht es nun nach einer noch weitergehenden Regelung aus: dass das vielfach geforderte „Ein Nein ist ein Nein“ gesetzlich verankert wird.

Die Formel „Nein heißt Nein“ und deren juristische Formulierung im neuen Vergewaltigungsparagrafen würde bedeuten: Jeder Widerspruch einer Frau gegen die sexuelle Handlung würde bedeuten, dass der Täter später — falls er überführt wird — wegen Vergewaltigung bestraft würde.

Der Haken an der Sache ist offensichtlich: die Beweisbarkeit. Ein Nein eines Opfers ist vor Gericht schwer nachweisbar. Und, so die weiteren Bedenken, die bisher eine in dieser Weise verschärfte Version des Vergewaltigungsparagrafen verhinderten: Sind dann möglicherweise falschen Bezichtigungen Tür und Tor geöffnet? Hier kommt dann auch der Fall Gina-Lisa ins Spiel, der die Diskussion befeuert.

Die frühere Kandidatin von „Germany’s next Topmodel“ steht wegen falscher Verdächtigung im Amtsgericht Berlin-Tiergarten vor Gericht. Die heute 29-Jährige hatte vor vier Jahren nach einer Party Sex mit zwei Männern. Später hatte sie den beiden vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben. Sie sei unter Drogen gesetzt worden, habe sich gewehrt und nicht freiwillig mitgemacht. Der Verdacht der Vergewaltigung bestätigte sich nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht. Es gab kein Verfahren wegen Vergewaltigung. Wohl aber bekamen die Männer Strafbefehle, weil sie einen Film vom Sex mit Lohfink ins Internet gestellt hatten.

Lohfink ihrerseits bekam wegen falscher Verdächtigung einen Strafbefehl — sie sollte 24 000 Euro zahlen. Mit einem Strafbefehl kann ein Strafverfahren ohne öffentliche Verhandlung erledigt werden. Zu einer öffentlichen Verhandlung kommt es in solchen Fällen nur dann, wenn Einspruch eingelegt wird. Eben das tat Gina-Lisa Lohfink. In dem jetzt laufenden Verfahren würde sie dann wegen falscher Verdächtigung verurteilt, wenn es sich gerade nicht um Vergewaltigung, sondern um einvernehmlichen Sex gehandelt hätte. Und sie daher die Männer „wider besseres Wissen“ (§ 164 Strafgesetzbuch) der Vergewaltigung verdächtigt hat.

Am dritten Verhandlungstag letzte Woche — die Fortsetzung ist für August geplant — kam es zu viel Aufsehen. Die Angeklagte hat zahlreiche Unterstützer. Diese bekunden im Internet, aber auch in und um das Gericht lautstark ihre Solidarität. Und stellen auch einen Zusammenhang zu der aktuellen Debatte um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts her mit dem Slogan „Nein heißt Nein, du bist nicht allein“.

Wie das Gericht entscheiden wird, hängt vor allem von der Bewertung des von den Männern im Internet verbreiteten Videos ab. Auf diesem ist zu hören, wie Gina-Lisa Lohfink unter anderem „Hör auf, hör auf“ sagt. Ihr Verteidiger sieht dies als Beleg dafür, dass sie sich gegen den Geschlechtsverkehr gewehrt habe. Die Folge wäre: Es war Vergewaltigung und eben keine falsche Verdächtigung. Die Gegenseite argumentiert, dass sich das „Hör auf, Hör auf“ darauf bezogen habe, keine Videoaufnahmen zu machen. Die sexuellen Handlungen als solche seien einvernehmlich geschehen.

Dass der Fall auch die Politik erreicht hat, zeigt eine Äußerung von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), die gesagt hatte: „Nein heißt nein muss gelten. Ein Hör auf ist deutlich.“ Und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katja Dörner zeigte gegenüber „Spiegel Online“ weitere Konsequenzen des Falles auf. Der Umgang mit Gina-Lisa Lohfink sei erschreckend. „Ein Opfer wird zur Täterin gemacht, öffentlich bloßgestellt, es wird ihr nicht geglaubt. Das nimmt anderen Frauen den Mut, eine Vergewaltigung anzuzeigen.“

Die rechtsrechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, nimmt vor der Entscheidung im Bundestag keinen Bezug auf den Fall Gina-Lisa Lohfink. Sie betont vielmehr, dass die Frauen in der Union schon seit langem gefordert hätten, dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht auch im Strafrecht zur Geltung kommen müsse: „Mit dem Gesetz leiten wir einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht ein. Für die Strafbarkeit reicht das Nein des Opfers, das sich auch allein aus seinem Verhalten ergeben kann.“

Doch auch wenn der Bundestag sich auf eine weite Ausdehnung des Vergewaltigungsparagrafen einigt und das Prinzip „Nein heißt Nein“ im Gesetz verankert, so wäre damit nicht automatisch ein Fall wie der von Gina-Lisa erfasst. Denn wenn das Gericht zum Ergebnis kommt, dass sich das „Hör auf“ nur auf die Aufnahme des Videos bezog, so wäre das auch nach neuer Rechtslage kein Nein hinsichtlich der sexuellen Handlung — folglich läge keine Vergewaltigung vor. Der Fall mag ein Anstoß gewesen sein, dass sich die Politik für eine weite Ausdehnung des Vergewaltigungsparagrafen entscheidet. Doch er zeigt auch: Klären muss jeden Fall am Ende ein Gericht. Mit allen Beweisnöten, dies es dabei hat.