Wahlprogramm: Kleines Chaos um Schulz‘ „großen Wurf“

Ein Bombenalarm und Missverständnisse begleiten die Beratung des SPD-Wahlprogramms - das Thema Steuern ist weiter offen.

Die Wahlprogrammvorstellung musste zunächst verschoben werden, da ein verdächtiger Gegenstand in der Poststelle der Parteizentrale entdeckt worden war.

Foto: Gregor Fischer

Berlin. Die SPD ist bekannt für kleine und große Dramen, ob nach Wahlniederlagen oder bei der Ernennung von Kanzlerkandidaten. Dass man auch eine ganz banale Vorstandssitzung mit einer ganz normalen Wahlprogramm-Debatte dramatisch gestalten kann, bewies die Partei am Montag.

Am Ende wurden die 71 Seiten zwar einstimmig verabschiedet. Trotzdem lag Krise in der Luft — von der SPD selbst unabsichtlich ausgelöst. Am Sonntagabend, 22.45 Uhr, hatte die SPD-Pressestelle nämlich eine Mail an die Nachrichtenagentur dpa geschickt. Die möge bitte einen für Montag, 14.00 Uhr, angesetzten Pressetermin zur Vorstellung des Wahlprogramms wieder von der Ankündigungsliste nehmen. Grund: „Beratungsbedarf“. Ein solcher Vorgang löst in Berlin immer Journalisten-Großalarm aus. Zumal etliche Online-Medien bald zugespitzt meldeten, die Partei sei sich über ihr Programm nicht einig.

Der angebliche Streit entpuppte sich als Banalität. Die Vorstandsmitglieder hatten eine „hohe dreistellige Zahl“ (Generalsekretärin Katarina Barley) von Änderungswünschen vorgelegt, so dass die Führung zunächst dachte, den Pressetermin zeitlich nicht halten zu können. Die Wünsche betrafen aber alle nur Details. Hintergrund: Die Wahlprogramm-Beauftragen hatte einen ursprünglich 260 Seiten langen Text auf 60 Seiten „eingedampft“, um ihn lesbarer zu machen. Jetzt wollten vor allem die Fachpolitiker ihre Lieblingsformulierungen wieder aufgenommen wissen. „Spiegelstrichhuberei“, sagte ein Sitzungsteilnehmer.

Als sich die Verantwortlichen am Montagmorgen gerade wieder berappelt und nun doch zur Pressekonferenz eingeladen hatten, traf das Willy-Brandt-Haus dann auch noch ein Bombenalarm, der alle Zeitpläne wieder über den Haufen zu werfen drohte. In der Poststelle war ein verdächtiges Paket entdeckt worden, das sich später als eine Art Spendendose mit Drähten entpuppte. Das Gebäude wurde für eineinhalb Stunden geräumt. Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter standen auf dem Bürgersteig herum. Die Polizei prüft nun den Hintergrund.

Fraktionschef Thomas Oppermann versuchte nach diesen Aufregungen zu retten, was zu retten war. Man habe „das beste Programm seit Willy Brandt“, sagte er nach der Sitzung. Das Papier steht unter der Losung „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ und setzt Schwerpunkte bei Bildung, Familie, Arbeit und Europa. Einige Elemente: Massive Investitionen in die Bildung, Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, Familienarbeitszeit, Arbeitslosengeld Q für Qualifizierung und ein Forschungsbonus für kleine und mittlere Unternehmen. Im Moment hat das Papier den Status eines Leitantrages des Vorstandes. Jetzt darf die Basis darüber mit Änderungsanträgen herfallen, ehe am 25. Juni ein Parteitag entscheidet.

Das nächste Problem ist freilich auch schon in Arbeit. Beim Kernthema Steuern, mit dem Union und FDP punkten wollen, findet sich nur die dürre Formulierung, dass man Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten wolle. Wie hoch, das bleibt offen. Kanzlerkandidat Martin Schulz, der das Programm als „großen Wurf“ angekündigt hat, will erst das Rentenkonzept geklärt wissen, das auch noch offen ist. Denn davon hängt ab, wieviel Geld noch übrig ist. Unklar aber ist, ob diese beiden zentralen Punkte noch vor dem Parteitag formuliert werden. Auch gibt es Andeutungen, man wolle damit eventuell sogar absichtlich bis zur heißen Phase des Wahlkampfes warten, um dann noch Pfeile im Köcher zu haben. Ein Wahlprogramm ohne Steuern und Rente dürfte freilich sogar an der eigenen Basis der SPD schwer vermittelbar sein. Ganz ohne Kommunikationspannen.