Herr Niedermayer, nach einem Gerichtsbeschluss darf der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke sogar als „Faschist“ bezeichnet werden. Warum schreckt das an den Wahlurnen nicht ab?
Landtagswahl in Thüringen Warum viele Wähler ihr Kreuzchen bei den Rechtspopulisten gemacht haben
Die AfD konnte bei der diesjährigen Landtagswahl in Thüringen ihr Resultat von 2014 mehr als verdoppeln. Parteienforscher Oskar Niedermayer sieht in dem Wahlausgang aber keine Blaupause für den Bund.
Wie zuletzt bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg ist die AfD auch in Thüringen zweitstärkste Kraft geworden. Und das mit einem Spitzenkandidaten, der für den völkisch-nationalistischen Flügel in der Partei steht. Warum viele Wähler trotzdem ihr Kreuzchen bei den Rechtspopulisten gemacht haben, erklärt der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter:
Oskar Niedermayer: Ich neige zu der Einschätzung, dass die AfD in Thüringen nicht wegen, sondern eher trotz Höcke gewählt wurde. Denn wenn man sich die letzten drei Landtagswahlen im Osten im Hinblick auf die Bewertung der Partei einerseits und ihrer Spitzenkandidaten andererseits anschaut, dann fällt auf, dass die AfD-Spitzenkandidaten in Sachsen und Brandenburg von den Menschen dort deutlich weniger negativ bewertet wurden als die AfD selbst. In Thüringen jedoch war es jetzt genau umgekehrt.
Und was schließen Sie daraus?
Niedermayer: Zum einen wählt die AfD-Wählerschaft weit weniger nach Personen, als das bei anderen Parteien der Fall ist. Und für diejenigen AfD-Wähler, für die Personen entscheidend sind, für die war Höcke nicht unbedingt ein Zugpferd seiner Partei. Man muss zwischen zwei Wählergruppen unterscheiden: Die einen wählen die AfD aus Überzeugung und haben auch mit den nationalsozialistischen Anklängen bei Höcke kein Problem. Und die andere, immer noch stärkere Gruppe sind Protestwähler. Sie wählen AfD, um den anderen Parteien eins auszuwischen. Und da interessiert es wenig, wer was in der AfD genau sagt.
Die AfD konnte sich in Thüringen auf besonders viele vormalige Nichtwähler stützen...
Niedermayer: Das war bei den meisten vorangegangenen Landtagswahlen genauso. Für Unzufriedene gibt es ja zwei Möglichkeiten: entweder aus Frust zuhause bleiben, oder eine Protestpartei wählen Da hat es die AfD gut verstanden, einen Teil dieses Potenztals für sich zu kanalisieren.
Zieht man noch die Linke in Betracht, dann gingen mehr als die Hälfte aller Stimmen in Thüringen an zwei politisch extreme Lager. Ist der Osten Vorreiter für womöglich unregierbare Verhältnisse im Land?
Niedermayer: Nein, überhaupt nicht. Zwischen der Bundesebene und Thüringen gibt es dramatische Unterschiede. Das zeigen übrigens auch die Ergebnisse der Grünen. Und in Thüringen war es auch nicht so, dass die Linke dort gewonnen hat, weil sie die Linke ist, sondern gewonnen hat Bodo Ramelow, weil er alles getan hat, um nicht als Linken-Politiker dazu stehen, sondern als Pragmatiker und bürgernaher Landesvater. Insofern ist auch die These von der extremen Linken in Thüringen nicht stimmig.
Wie sollten sich die anderen Parteien jetzt verhalten?
Niedermayer: Eine Koalition der CDU mit den Linken würde die Union zerreißen. Denn gerade der Thüringer Landesverband ist besonders konservativ. Die Zeichen stehen eher auf eine linke Minderheitsregierung, die sich punktuell ihre Mehrheiten sucht, auch mal mit der CDU oder der FDP. Und was die AfD angeht, so muss man sie inhaltlich stellen, darf aber ihre Wähler nicht pauschal als Nazis beschimpfen.