Personal- und Materiallücken Wehrbeauftragter prangert Misere in der Bundeswehr an

Berlin (dpa) - Trotz milliardenteurer Reformanstrengungen hat sich die Ausrüstung der Bundeswehr nach Einschätzung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels noch verschlechtert.

Foto: dpa

Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme sei „dramatisch niedrig“, die eingeleiteten Reformen müssten deutlich mehr Fahrt aufnehmen, sagte der SPD-Politiker am Dienstag bei der Vorlage seines Jahresberichts in Berlin. „Die Materiallage bleibt dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter geworden.“ Neben der Kritik an der Ausrüstungslage gab es neue Berichte über mutmaßliche Ausbildungsschikanen in der Pfullendorf-Kaserne.

Foto: dpa

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte - nach jahrzehntelangem Schrumpfkurs - Anfang 2016 Trendwenden für die Bundeswehr angekündigt, unter anderem sollte die Ausrüstung der Truppe mit einem 130 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm auf Vordermann gebracht und das Personal aufgestockt werden. Die Lücken bei Personal und Material seien im vergangenen Jahr teils aber noch größer geworden, heißt es nun in dem 120-seitigen Bericht.

Foto: dpa

Der Bundeswehrverband forderte Verbesserungen bei der Beschaffung von Munition und beim Gerät. „Jetzt muss beschleunigt werden“, sagte der Verbandschef André Wüstner im ARD-„Morgenmagazin“. Die Politik erhöhe zwar die Zahl der Aufträge und Einsätze, unterfüttere diese aber nicht. „Das Jahr 2018 wird eine Art Jahr der Wahrheit.“

Foto: dpa

Die Bundeswehr brauche mehr Geld, forderte Bartels. Im Haushaltsplan „steht bisher noch nichts substanziell Zusätzliches“. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD die „bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung“ für Soldaten vereinbart.

Bartels prangerte ein Übermaß an Zentralisierung und Bürokratisierung in der Truppe an. Er kritisierte auch einen enormen Personalmangel. 21 000 Dienstposten von Offizieren und Unteroffizieren seien nicht besetzt. Dies führe zu Überlastung und Frustration. Das Verteidigungsministerium zeichnet ein anderes Bild der Personallage. Den fehlenden Dienstposten stünden 35 000 Soldaten in der Ausbildung entgegen, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Man nähere sich Schritt für Schritt dem Ziel einer Truppenstärke von 198 000 Soldaten bis 2024.

Erst am Montag war bekannt geworden, dass der Truppe für Nato-Verpflichtungen im Jahr 2019 nicht nur Panzer, sondern auch Schutzwesten, Winterbekleidung und Zelte fehlen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, wies die Berichte zurück. Die Truppe sei ausreichend ausgerüstet, um ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen, sagte er am Dienstag. Er räumte ein, dass die Einsatzbereitschaft noch nicht zufriedenstellend sei. Um die Lücken der Bundeswehr zu schließen, habe man aber einen Entwicklungsplan aufgelegt bis zum Jahr 2030.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte, forderte schnellere Entscheidungen und flexiblere Verfahren bei der Beschaffung der Ausrüstung. Das Material müsse schneller bei der Truppe ankommen. „Das gilt für Großgerät, aber auch für persönliche Ausrüstung.“ Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner, kritisierte: „Trotz der vielen Ankündigungen und Trendwenden, ist wenig Zählbares passiert. Auf dem richtigen Weg zu sein, reicht irgendwann nicht mehr aus.“

Die FDP-Fraktion fordert eine Reform des Beschaffungswesens. Dazu beantragten die Liberalen im Verteidigungsausschuss einen Unterausschuss. „Der Jahresbericht zeigt in erschreckender Weise, wie schlecht es um unsere Bundeswehr nach Jahren des Kaputtsparens bestellt ist“, betonte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

„Der Verweis auf angeblich fehlendes Material ist eine Nebelkerze, die von den eigentlichen Ursachen der Probleme der Soldatinnen und Soldaten ablenken soll“, erklärte hingegen Linken-Abgeordnete Christine Buchholz. Sie nannte rechtsextremistische Verdachtsfälle, sexuelle Übergriffe und verfehlte Ausbildungsmethoden. „Beleidigungen und Schikanen durch Vorgesetzte sind weit verbreitet.“

Wegen mutmaßlicher Ausbildungsschikanen ermittelt die Bundeswehr erneut in der Pfullendorf-Kaserne in Baden-Württemberg. Das bestätigte ein Sprecher des Heeres am Dienstag der dpa. Zuvor hatte „Spiegel Online“ darüber berichtet. Nach Angaben der Bundeswehr fand dort Anfang Januar ein Geländelauf statt, den sechs Soldaten aufgrund von körperlicher Erschöpfung oder Verletzung abbrachen. Ein Soldat sei zur weiteren medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus gebracht worden. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob strafbares Verhalten vorliegt. Das Verteidigungsministerium kommentierte die laufenden Ermittlungen zunächst nicht. Ein Ausbilder sei aber bereits von seiner Aufgabe entbunden worden.

Bei einer Übung im Munster waren im vergangenen Sommer mehrere Offiziersanwärter kollabiert, einer starb später an den Folgen. Dafür soll ein Hitzschlag verantwortlich sein, wie die Staatsanwaltschaft Lüneburg am Dienstag mitteilte. Die Ermittlungen seien aber noch nicht abgeschlossen. Zuerst hatten NDR 1 Niedersachsen und das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ darüber berichtet.

Die Bundeswehr musste schon mehrfach in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf ermitteln, nachdem Anfang 2017 Berichte über angebliche sexuell-sadistische Praktiken die Öffentlichkeit schockiert hatten. Die Justiz bestätigte diese Vorwürfe nicht.