Bundesparteitag der Grünen in Berlin Wie die Grünen ihr Trauma vom Jamaika-Aus zu überwinden suchen

Berlin. Die Szene erinnert an die Siegerehrung in einer großen TV-Spielshow. Nur, dass diesmal alle Sieger sind. „Katrin, du hast das großartig gemacht“, ruft Cem Özdemir verzückt.

Das Jamaika-Verhandlungsteam der Grünen mit l-r dem Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, dem Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, dem Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, Schleswig-Holstein Umweltminister Robert Habeck, Agnieszka Brugger, der Parteivorsitzenden Simone Peter, Annalena Baerbock, der Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Jürgen Trittin, Britta Haßelmann, Katja Dörner, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Reinhard Bütikofer und Die Bundestagsvizepräsidentin und Grünen-Politikerin Claudia Roth.

Foto: Kay Nietfeld

Und der „Büti“, die „Annalena“ und die „Claudia“ natürlich genauso -„ihr habt das super gemacht“. Katrin Göring- Eckardt wendet sich hernach auch direkt an Jürgen Trittin: „Vielen Dank, das du dabei warst. Und natürlich auch „vielen Dank Winfried“. Am Ende steht das 14-köpfige Verhandlungsteam der Grünen komplett auf der Bühne. Alle winken scheinbar überglücklich in die Parteitagsmenge. Jeder bekommt einen Geschenkkorb mit Bioprodukten, und der Saal ist ganz aus dem Häuschen.

Dabei gibt es eigentlich gar nichts zu feiern. Was hätten die Grünen nicht alles gegeben für einen erfolgreichen Abschluss der Jamaika-Sondierungen. Aber jetzt stehen die Weichen eher auf große Koalition. Das hat für viel Frust in der Partei gesorgt. „Es schmerzt, dass wir nicht regieren können“, räumt die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner unumwunden ein. Er spüre nur noch „Ohnmacht“, gibt der schleswig-holsteinische Mitverhandler Robert Habeck zu Protokoll. Die überschwängliche Danksagungs-Orgie da oben auf der Bühne ist dann auch eine sehr spezielle Form, um mit diesem kollektiven Trauma irgendwie umzugehen.

Konzipiert war das Delegiertentreffen in Berlin ursprünglich mit dem Ziel, grünes Licht für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP zu geben. Viele hatten sich schon ausgemalt, wie davor die Fetzen fliegen würden. Allen voran beim Thema Migration, wo die grünen Unterhändler garantiert heilige Partei-Prinzipien geopfert hätten. Selbst ein „atmender Rahmen“ von 200.00 Flüchtlingen pro Jahr wäre kein Tabu gewesen. Genauso, wie man auf Drängen der Union wohl die Ausweitung der Liste sichererer Herkunftsstaaten mitzutragen bereit war. Und auch der letzte Verhandlungsstand beim Klimaschutz atmete die Abkehr von grün-ökologischen Grundüberzeugungen. Aber die große Abrechnung mit der Führung bleibt aus. Stattdessen wird das Treffen zu einem „Was-wäre-wenn-Parteitag“ umfunktioniert. „Es hätte ein gutes Ergebnis für unser Land geben können, wenn nicht die FDP panisch davon gerannt wäre“, beklagt Fraktionschef Anton Hofreiter. Man hätte nicht zugestimmt, wenn der Familiennachzug nicht zustande gekommen wäre, beteuert Parteichef Özdemir. In beinah jedem der 42 gelosten und 15 „gesetzten“ Debattenbeiträge wird die Melodie von den verräterischen Liberalen und der eigenen grünen Geschlossenheit verbunden mit persönlichen Danksagungen intoniert. Ein Rede-Marathon mit Langeweile-Effekt.

Renate Künast ist es schließlich, die dieses Schema lautstark durchbricht: „Jetzt ist genug gelobt und genug geweint“, donnert die einstige Agrarministerin unter Rot-Grün in den Saal. Jetzt gehe es doch um die Frage, wie man sich für die Zukunft aufstelle. Jürgen Trittin, die profilierteste Figur des linken Flügels, hat darauf eine glasklar Antwort: „Wir beanspruchen die politische Oppositionsführerschaft“. Man sei „nicht Regierung im Wartestand“. Ober-Realo Özdemir dagegen sagt: „Wir werden weiterhin unseren Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen, wo auch immer wir gefragt werden“.

In diesem Duktus ist auch der Leitantrag des Vorstands formuliert, den die Delegierten am Ende mit großer Mehrheit annehmen — und um ein wichtiges Detail ergänzen: Man bleibe gesprächsbereit „auch für eine Beteiligung an Minderheitsregierungen“. Die Hoffnung stirbt auch bei den Grünen immer zuletzt.