Leitartikel Regierungsbildung: Sieger, Verlierer, Verzweifelte
Die Grünen sehen sich als Sieger der Jamaika-Sondierungen. Diese Überzeugung haben sie auf ihrem jüngsten Parteitag beinah trotzig inszeniert.
Und in der Tat mag sich auch mancher Unionspolitiker immer noch die Augen reiben ob der staatpolitischen Verantwortung, welche die einstige Anti-Parteien-Partei da in den zurückliegenden Verhandlungswochen unter Beweis gestellt hat. Nur ist der grüne „Sieg“ eben ohne Wert. Zumindest nach jetzigem Stand. Da drohen die Grünen eher in einem schwarzen Loch zu verschwinden. Sich als kleinste Bundestagspartei zwischen linken und rechten Populisten behaupten zu müssen, das ist gewiss nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die Vorstellung, nach zwölf Jahren quälenderer Opposition noch einmal vier weitere dranhängen zu müssen, dürfte bei den meisten Grünen auch noch gar nicht richtig angekommen sein.
So gern, wie die Grünen mitregieren würden, so sehr tun sich die Sozialdemokaten damit schwer. Martin Schulz, ihr glanzloser Vorsitzender, hat dafür am Wochenende geradezu ein politisches Trauerspiel abgeliefert: Er strebe weder eine Groko noch eine Minderheitsregierung noch Neuwahlen an, sondern eine Diskussion über die „Wege“, das Leben „jeden Tag ein Stück besser zu machen“. Amen, möchte man Schulz da zurufen. Die Verzweiflung muss riesig sein bei den Genossen, dass sie sich nur noch als eine Art Selbsterfahrungsgruppe begreifen, scheinbar völlig ohne Kompass und Verstand. Und die Union? Gemessen an einer orientierungslosen SPD wirkt sie noch wie ein Fels in der Brandung. Kein Wunder auch, dass der Ruf der Kanzlerin als verlässliche politische Instanz wieder an Gewicht gewinnt, obwohl das Scheitern der Jamaika-Sondierungen auch auf ihr Konto geht. Aber bei Merkel weiß man zumindest, dass sie eine stabile Regierung will.
Nach Lage der Dinge wird die SPD die Preise für eine Neuauflage der großen Koalition bis ins schier Unendliche treiben. Vordergründig kommt ihr dabei zugute, dass man schon beim schwarz-gelb-grünen Verhandlungsmarathon nie genau wusste, wofür die Union eigentlich genau steht — und für was ausdrücklich nicht. Doch sie wird sich auch nicht bis zur völligen Unkenntlichkeit verbiegen können. Mal kurzerhand die private Krankenversicherung abschaffen, oder die „Solidarrente“ einführen, wie es aus den Reihen der Genossen als „vertrauensbildende Maßnahme“ gefordert wird? So etwas entspringt im Kern einer bewussten Konfrontationsstrategie mit dem Ziel, die Union von der Groko-Nummer wieder abzubringen.
Die auf dem Grünen-Parteitag bekräftigte Gesprächsbereitschaft für eine künftige Regierungsbildung könnte sich vor diesem Hintergrund dann doch noch als Vorteil erweisen. Gewiss ist das Land von einer Minderheitsregierung weit entfernt. Aber sie wäre ein gangbarer Ausweg, falls sich die SPD am Ende nicht noch ein weiteres Mal als schwarz-rot-tauglich erweist und Merkel tatsächlich bei ihrer Absage an Neuwahlen bleibt. Wirklich entschieden ist hier noch gar nichts.