Meinung: Das größte Problem der SPD heißt Martin Schulz

Was würde Angela Merkel nur ohne Männer machen, die von Größenwahnsinn, Ehrgeiz und Selbstüberschätzung beherrscht werden? Der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden, die das schlechteste Wahlergebnis der Christdemokraten seit 1949 zu verantworten hat, die anschließend entweder gar nicht erst vorhergesehen oder zumindest nicht verhindert hat, dass der FDP-Selbstdarsteller Christian Lindner Sondierungsgespräche zur Bildung einer Bundesregierung schamlos als Inszenierungsbühne seiner angeblichen Standhaftigkeit missbraucht, kurz: der Kanzlerin, deren Kanzlerschaft nur noch der Bundespräsident retten kann, müsste ihr klägliches Scheitern und das Misslingen ihrer schwarz-grünen Ambitionen eigentlich seit Tagen von jeder Titelseite des Landes und aus jeder Schlagzeile entgegenschreien.

Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz hat angekündigt, die Parteimitglieder über eine mögliche Regierungsbeteiligung abstimmen zu lassen.

Foto: Kay Nietfeld

Tut es aber nicht. Stattdessen kann sich Angela Merkel wieder einmal voll und ganz auf die Lindners und Seehofers und seit Freitag auch wieder auf Martin Schulz verlassen, der ja schon während des Wahlkampfes ihr bester Mann war. Gab es eigentlich irgendeine Schulz-Rede, in der der große Sohn der Kleinstadt Würselen nicht auf den unvorteilhaften Kontrast zwischen sich und der Anführerin der freien Welt hingewiesen hat? Oder Merkel wenigstens zu seinen Lasten erwähnte, damit auch der Letzte begriff, wer dieses Land niemals regieren wird?

Freitagmittag hat Martin Schulz auf seiner Facebook-Seite ein Video hochgeladen, das sich wirklich anzuschauen lohnt. Schulz sitzt, leicht von oben herab gefilmt, an einem leeren Schreibtisch mit nur einem Blatt Papier darauf. Zu arbeiten gibt es dort offenbar nichts. Er schlägt die Hände übereinander und die Stimme nieder, dann ringt er die Finger ineinander, und mindestens eine Minute des eine Minute und 37 Sekunden langen Filmchens rechnet man fest damit, dass Schulz dieses Rücktritts-Szenario gewählt hat, um, nun ja — was er aber nicht tut. Stattdessen erklärt er umständlich, die Mitglieder der Partei würden im Fall des Falles darüber abstimmen, ob die SPD sich an einer Regierung beteilige oder nicht.

Unfreiwilliger Höhepunkt des Films ist aber der Moment, in dem Martin Schulz mit treuherzigem Dackelblick erklärt: „Liebe Genossinnen und Genossen, bitte lasst Euch nicht durch die Berichterstattung verunsichern. Ihr könnt mir und der gesamten Parteiführung vertrauen, dass wir das Beste für unsere Partei, aber auch das Beste für unser Land erreichen wollen.“ Sagt der Mann, der auf der gleichen Facebook-Seite nur wenige Zentimeter tiefer am 20. November geschrieben hat: „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung — diese Konstellation wurde abgewählt. Wir scheuen Neuwahlen nicht.“

Nachdem Schulz am Donnerstag bei Bundespräsident Steinmeier vorgeladen war und eine einstündige Ansage bekam, marschierte er anschließend in den Parteivorstand. Drei Stunden waren für das Treffen angesetzt, acht Stunden wurden daraus. Lediglich Sigmar Gabriel verließ die Runde nach zwei Stunden; man weiß nicht so genau, ob aus Ekel oder Selbstachtung. Und einen Tag später erklärt der Vorsitzende dann, man wolle die Partei abstimmen lassen. Das wird sie sogar müssen. Aber nicht über eine große Koalition, sondern über Martin Schulz.

Über Regierungsbildung und Kanzlerwahl entscheiden in Deutschland nicht Parteimitglieder, sondern die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Diese sind ihrem Gewissen verpflichtet und niemandem sonst. Es gibt in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland kein „imperatives“ Mandat; Abgeordnete sind keine Befehlsempfänger oder Vollstrecker eines Parteiwillens. Das weiß auch Martin Schulz. Weshalb es über das Wochenende und die kommenden Tage auch den Begriffsstutzigeren langsam dämmern dürfte, um was es eigentlich geht: Um die Zukunft von Martin Schulz — für den in einer großen Koalition kein Platz wäre.

Es ist schon einigermaßen einzigartig, wie Schulz es bis einschließlich am Freitag geschafft hat, die SPD vollkommen unnötig schlecht aussehen zu lassen. So falsch es war, fünf Minuten nach Vorliegen des Wahlergebnisses den trotzigen Gang in die Opposition anzukündigen, so unbelehrbar falsch ist es, auf diesem Fehler weiter zu beharren.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hat die SPD beste Chancen, für sich gegenüber CDU/CSU Konditionen auszuhandeln, die deutlich besser sein dürften, als es das SPD-Wahlergebnis eigentlich hergibt. Was daran schlechter sein soll als Opposition oder die Duldung einer Minderheitsregierung, hat Schulz noch niemandem erklären können.

Anstatt die Genossen vor der bösen Presse zu warnen, sollte Schulz möglichst vor dem SPD-Bundesparteitag ein weiteres Video in seinem Büro aufnehmen. Irgendein Abfindungsposten in Europa wird sich für ihn schon finden.