Politik Wie sich die Opposition in den ersten 100 Tagen geschlagen hat

Berlin. 100 Tage Große Koalition, das sind auch 100 Tage Opposition. Statt zwei wie in der vergangenen Wahlperiode geben jetzt gleich vier Parteien der Union und der SPD kontra. Der Überblick zeigt, wie sie sich dabei geschlagen haben:

lice Weidel und Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzende der AfD, sitzen während der 39. Sitzung des Bundestages im Plenarsaal.

Foto: Jens Büttner

Sie wird ihrer Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag gerecht — aber ganz anders als frühere Oppositionsführer. Die Rechtspopulisten verfolgen erst gar nicht das Ziel, eine andere Mehrheit zu finden, es geht ihnen darum, sich gegen alle anderen Parteien zu profilieren. Das Parlament wird dafür als Bühne ge- und missbraucht. So legte vor kurzem ein Abgeordneter während seiner Rede zu einem völlig anderen Thema plötzlich eine „Gedenkminute“ für ein von einem Ausländer ermordetes Mädchen ein und versuchte so die anderen Parteien vorzuführen.

Ein anderer Abgeordneter postete Bilder vom halbleeren Plenum, um die Faulheit der „Altparteien“ zu zeigen. Alles wird professionell sofort in den sozialen Netzwerken verbreitet. In fast allen Redebeiträgen schlägt die AfD den Bogen zur Flüchtlingsfrage, die Anträge und Anfragen beschäftigen sich ebenfalls fast ausschließlich mit dieser Thematik. Mit den ersten 100 Tagen kann die Partei zufrieden sein — sie ist in den Schlagzeilen und ihre Anhänger fühlen sich bestätigt.

Christian Lindner ähnelt ein wenig dem Fuchs aus der Fabel: Hängen die Trauben zu hoch, will er sie nicht. Und so spricht der FDP-Vorsitzende davon, dass es seiner Partei „nicht um Aufsehen, sondern um Ansehen“ gehe. Tatsächlich treten die Liberalen im Bundestag konstruktiv und seriös auf, mit dem Nebeneffekt freilich, dass sie kaum wahrgenommen werden. Lindner ist das bewusst, er behauptet aber: „Wir haben Nerven, diesen Weg über vier Jahre durchzuhalten“.

Nur zwei Ereignisse stachen bisher heraus: Beim Bamf-Skandal war die FDP neben der AfD die einzige Partei, die einen Untersuchungsausschuss forderte. Und dann gab es noch den Streit zwischen Lindner und Parteivize Wolfgang Kubicki um die Russland-Politik, von dem Lindner erst am Donnerstag sagte, dass er nicht beigelegt sei. Lindner hat die Partei ruhig halten können, als er die Jamaika-Verhandlungen beendete. Auch für den Fall des Scheiterns der GroKo am CSU-CDU-Streit bietet er sich nicht als Retter an. Dann müsste es Neuwahlen geben, sagte er am Donnerstag.

Die Linkspartei hat einen Verlust zu beklagen. Seit 100 Tagen ist sie nicht mehr Oppositionsführerin im Bundestag. Ihr Kernthema jedoch, die soziale Gerechtigkeit, hat eher noch an Aktualität gewonnen. Über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, über eine solidarische Gesellschaft wird inzwischen vielerorts debattiert. Trotzdem hat die Linke ihre politische Rolle noch nicht gefunden. Das liegt am Dauerstreit zwischen den Partei- und Fraktionsspitzen und der Flüchtlingsfrage.

Auf ihrem jüngsten Parteitag in Leipzig hat sich die Linke darüber fast zerlegt. Zugleich trat das abgrundtiefe persönliche Zerwürfnis zwischen der Vorsitzenden Katja Kipping und Fraktionschefin Sahra Wagenknecht offen zu Tage. Und diese Konflikte könnten noch an Fahrt gewinnen, wenn es wie von Wagenknecht schon länger angekündigt zur Formierung einer „linken Sammlungsbewegung“ kommt. Fazit: Wegen permanenter Selbstbeschäftigung fällt die Linke für eine wirkungsvolle Oppositionsarbeit aus.

Die Enttäuschung war riesig, als der Traum von Jamaika platzte und den Grünen schmerzlich zu Bewusstsein kam, abermals kleinste politische Kraft in der Opposition zu sein. Von diesem Schock hat sich die Partei in den letzten 100 Tagen allerdings gut erholt. Und das liegt vor allem an der neuen Führungsspitze. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck sind die Querelen in der Chefetage praktisch verschwunden. Nach außen hin stehen die Grünen sehr geschlossen da. Das umso mehr, als die Partei mit dem Thema Ökologie über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, das in der Politik der GroKo eine große Leerstelle ist.

Intern gehen die Meinungen allerdings auch schon mal auseinander, inwieweit man sich noch als „Regierung im Wartestand“ begreifen soll. Der linke Flügel hätte es gern weniger staatstragend. Im Realo-Lager dagegen wird die Phantasie durch das drohende Zerwürfnis zwischen CDU und CSU beflügelt. Zur Rettung der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) stünden die Grünen durchaus bereit.