Meinung Wohnungsnot auf dem Weg zum politischen Sprengstoff
Mit seinem geflügelten Wort „My Home is my Castle“ wollte der englische Jurist und Politiker Sir Edward Coke (1552—1634) in der frühen Neuzeit alte Gesetze seines Landes noch so verstanden wissen, dass eine Verteidigung des eigenen Heims gegen Diebe, Räuber und Angreifer zur Not auch mit Waffengewalt legitim sei.
Heute verstehen wir seinen Satz weniger rabiat, aber immer noch als Ausdruck der hohen emotionalen Bedeutung, die wir der Privatsphäre einräumen. Zugleich ist er eine Warnung: vor dem politischen Sprengstoff, den das Thema Wohnungsnot in sich birgt.
Dass es sich nicht mehr an den gesellschaftlichen Rand drängen lässt, ist keine neue Erkenntnis. Aus Hilfsprojekten der Wohlfahrtsverbände ist seit Jahren bekannt, dass die Klientel der Wohnungslosenhilfe längst über die Obdachlosen und Drogenabhängigen hinausgewachsen ist und die Mittelschicht erreicht hat. Es rückte nur deswegen nicht noch viel stärker ins öffentliche Bewusstsein, weil das Fehlen oder auch schon die Gefährdung eines mietvertraglich abgesicherten Wohnraums extrem schambesetzt sind.
Betroffene Menschen und Familien tun oft alles, um diese Not vor anderen zu verbergen. Dieses Versteckspiel führt auch dazu, dass vorhandene Hilfen nicht in Anspruch genommen werden — mit der Folge, dass sich Notlagen weiter verschärfen und am Ende die Zeit fehlt, um Zwangsräumungen gegebenenfalls noch im Vorfeld zu verhindern.
Nach Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2016 in Deutschland rund 860 000 Menschen wohnungslos, gegenüber 2014 ein Anstieg um 150 Prozent. Für dieses Jahr wird eine Zunahme auf 1,2 Millionen Menschen erwartet. Dass diese Schätzungen seit 2016 auch wohnungslose anerkannte Flüchtlinge einschließen, erklärt den dramatischen Verlauf nur zum Teil.
Ein massiv geschrumpfter Sozialwohnungsbestand und der Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände an private Investoren stehen für politische Fehler der Vergangenheit, die den Verantwortlichen jetzt in Form von Verteilungskämpfen und Neiddebatten vor die Füße fallen. Wer verhindern will, dass sich hier ein neues Themenfeld auftut, um das gesellschaftliche Klima zu vergiften, muss Wohnen als Grundrecht anerkennen — und dessen Umsetzung als öffentliche Aufgabe. Ein weiteres drängendes Thema für die Berliner Sondierungsgespräche.