Interview: "Mubarak spielt keine Rolle mehr"
Islamwissenschaftler Marco Schöller zur Lage in Ägypten.
Herr Schöller, Hand aufs Herz: Hätten Sie eine solche Entwicklung in der arabischen Welt vor zwei bis drei Monaten für möglich gehalten?
Schöller: Nein, das hat wohl niemand für möglich gehalten. Ich habe noch im November in einem Interview auf die Frage, ob in der arabischen Welt ein Aufstand zu erwarten sei, gesagt, dass ich dafür keine Anzeichen sehe. Und das Interessante ist: Sowohl der Fragesteller als auch ich dachten nur an eine islamische Revolution wie 1979 im Iran, nicht an eine "weltliche". Was aber nun in Tunesien, Ägypten und eventuell noch in anderen Staaten passiert, ist tatsächlich eine Stunde null.
Die Menschen im Westen verfolgen diesen demokratischen Aufbruch mit großer Freude. Aber gibt es auch Aspekte, die Ihnen Sorgen machen?
Schöller: Natürlich herrscht noch eine große Unsicherheit. Sollte es zum Beispiel in Tunesien, wovon ich ausgehe, und in Ägypten, wovon ich leider im Moment eher nicht ausgehe, bald ein freies Parteienspektrum geben, müssen wir auch mit einem gewissen Gewicht islamischer Parteien rechnen. Eine Mehrheit für solche Parteien sehe ich aber nicht. Nun setzt auch dieses ganze Gerede ein, mit Demokratie seien die Regierungen dort nicht mehr so verlässlich. Da muss man doch mal eines bedenken: Mit Israel haben wir das seit 60 Jahren. Da wurde doch nach Regierungswechseln oft die Politik der Vorgängerregierung geändert oder revidiert. Wir haben doch auch gelernt damit umzugehen. Es ist nicht einzusehen, warum da für arabische Staaten, in denen es vielleicht ähnlich kommt, andere Maßstäbe gelten sollten.
Sie haben sich zu Ägypten pessimistisch geäußert. Warum?
Schöller: Die Entwicklung der vergangenen Tage deutet eher auf eine Stabilisierung des Regimes hin. Ob Mubarak jetzt noch bleibt oder geht, ist eigentlich egal. Er spielt keine Rolle mehr. Die Leute im Hintergrund — Vizepräsident Suleiman, Ministerpräsident Schafik und so weiter — repräsentieren doch das alte Regime genauso.
Und dieses Regime lässt sich durch die Proteste nicht stürzen?
Schöller: Danach sieht es leider immer weniger aus.
Sind die Gespräche der Opposition mit dem Regime also ein Fehler?
Schöller: Was laufen denn für Gespräche? Das sind doch sehr vage, fadenscheinige Gespräche, geführt von Gruppen, die nur einen Teil der Opposition repräsentieren. Es ist doch kaum vorstellbar, dass jemand wie Suleiman, der über viele Jahre einen ganz brutalen Geheimdienst-Apparat geführt hat, nun plötzlich einen freiheitlichen Staat auf die Beine stellt.
Und Sie sehen auch in der Opposition keine Persönlichkeit, die den Neuanfang gestalten könnte?
Schöller: Nein, das ist genau das Problem. Man bräuchte wirklich eine Übergangsregierung wie in Tunesien. Aber dort haben wir eine ganz andere Situation. Dort geht man ja gegen das alte Regime sehr drastisch vor, die Armee hat damit offenbar gebrochen. Und das ist in Ägypten nicht zu erkennen.
Wie würde eine Aufnahme Mubaraks in Deutschland auf die Opposition in Ägypten wirken?
Schöller: Es wäre sicher kein gutes Zeichen, wenn ein westliches Land ihn aufnehmen würde. Ich halte die politische Debatte darüber aber für sehr verlogen. Da gab es Stimmen von Abgeordneten — auch der Regierungsparteien —, die sagten: Ja, man solle ihn aufnehmen, aber nur als Patienten, nicht als Exilanten. Dieses Rumgeeiere ist ja nicht mehr auszuhalten. Aber wie gesagt: Ich glaube auch nicht, dass es auf ihn in Ägypten noch ankommt.
Was ist mit Libyen, Saudi-Arabien oder Syrien? Warum bleibt es in diesen Diktaturen bisher relativ ruhig?
Schöller: Jedes Land ist verschieden. Libyen und Saudi-Arabien sind zum Beispiel reiche Länder. Man kann Gaddafi (libyscher Staatschef, Anm. der Redaktion) viel vorwerfen, es gibt dort keine politischen Freiheiten, aber er hat dafür gesorgt, dass der Ölreichtum Libyens seinem Volk doch in großem Maße zugute kommt. Für Saudi-Arabien gilt das gleiche. Das sind Faktoren, die einen Aufstand nicht gerade fördern. Syrien hingegen hat wirtschaftliche Probleme, dort ist aber auch der Unterdrückungsapparat wohl der härteste aller arabischen Länder. Die Angst der Leute ist sehr groß.
Das heißt, diesem Regime wird es wohl gelingen, Proteste gewaltsam zu unterdrücken?
Schöller: Davon gehe ich im Moment leider aus. Es gab dort in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrere Aufstände, die brutal zusammengeschossen worden sind.
Eine besondere Rolle spielt der Iran. Das Regime dort möchte die Aufstände ja gern als "islamisches Erwachen" feiern, der Westen hingegen hofft, die Opposition dort könnte ebenfalls Auftrieb erhalten. Wie sehen Sie das?
Schöller: Was der Iran da von sich gegeben hat, ist natürlich kompletter Unsinn. Das ist nur antiwestliche Regierungspropaganda. Es ist schwer zu sagen, ob die Situation in der arabischen Welt auch Auswirkungen auf die Opposition im Iran haben wird. Die Lage im Iran ist eine andere. Dort gibt es ja schon länger eine Opposition in einer latenten Aufstandshaltung, und der Iran hat schon eine eigene revolutionäre Geschichte. Der Iran ist in vielerlei Hinsicht sehr eigen. Man kann die Situation dort mit der in der arabischen Welt nicht vergleichen.
Es gibt Beobachter, die sagen, der Islam sei im Grunde nicht demokratiefähig. Was halten Sie von dieser Aussage?
Schöller: Gar nichts. Alle Glaubenssysteme sind per se demokratiefähig. Schauen Sie sich die Türkei an. Natürlich liegt dort noch vieles im Argen, aber das demokratische System funktioniert dort auch mit islamischen Parteien. Ein anderes, sehr gutes Beispiel ist Indonesien. Dort gibt es viele unterschiedliche islamische Parteien, sogar Frauenparteien, die sehr fortschrittlich sind. Man würde vieles, was auch in Deutschland über den Islam gesagt wird, revidieren müssen, wenn man einmal genauer nach Indonesien schauen würde.