Mensch zu vermieten — aus dem Alltag eines Leiharbeiters
Stephan Gentzsch wechselt alle paar Monate die Firma. Der Meister verdient dabei weniger als ein Berufseinsteiger.
Düsseldorf. „Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit nicht wertgeschätzt wird“, sagt Stephan Gentzsch. Der 39-Jährige ist Industriemechaniker mit Meisterbrief und damit Facharbeiter im klassischen Sinne. Dennoch hat er seit neun Jahren nicht mehr seiner Qualifikation gemäß gearbeitet. Stephan Gentzsch ist einer von 800 000 Leiharbeitern in Deutschland.
Alle sechs bis neun Monate wechselt er das Unternehmen. Aktuell schneidet er in Ratingen Metallteile zu. Über die Debatte im Bundesrat, ab welchem Monat Leiharbeiter genau so viel verdienen sollten wie Festangestellte (siehe Kasten), kann er nur bitter lachen.
„Ich erwarte, dass ich ab dem ersten Tag genau so viel verdiene wie ein Facharbeiter bei seinem Berufseinstieg.“ Das sind in Gentzsch’ Branche etwa 20 Euro pro Stunde. Er selbst kommt auf maximal zwölf Euro — „wenn ich gut verhandle“. Am Ende des Monats hat der Alleinstehende einen Nettolohn von 1100 Euro.
Stephan Gentzsch macht keinen Hehl daraus, dass er sich sein Leben anders vorgestellt hat. Als er mit 30 Jahren seinen Job verlor, weil seinem Arbeitgeber die Aufträge ausgegangen waren, sollte die Zeitarbeit nur eine Übergangslösung sein. Mittlerweile ist der ehemalige Langenfelder, der heute in Dormagen lebt, schon bei der fünften Zeitarbeitsfirma, hat bei Maschinenbauern in Düsseldorf, Meerbusch, Krefeld, Haan, Neuss und Leverkusen gearbeitet. Nur ein Mal hat er einen Job abgelehnt, weil er die Arbeitsbedingungen — „Dreck und mittelalterliche Werkzeuge“ — als unhaltbar empfand.
„Man ist eine Ware, die hin- und hertransportiert wird“, sagt der 39-Jährige. Er habe schon erlebt, dass ihn ein festangestellter Arbeitskollege bewusst gemieden hat. Er sagte Gentzsch auch, warum: „Du bist ja eh bald wieder weg, da brauche ich mich gar nicht an dich zu gewöhnen.“
Auch sonst merkt Gentzsch, dass für ihn andere Regeln gelten. „Vermögenswirksame Leistungen gibt es oft erst nach einem halben Jahr, Urlaubs- und Weihnachtsgeld nach neun bis zwölf Monaten. Aber so weit muss man erst mal kommen“, sagt er. Denn Stephan Gentzsch hat mehrfach erlebt, dass Personaldienstleister kündigen, wenn sie gerade keine Aufträge für ihn haben. „Kommt doch was rein, wird die Kündigung zurückgezogen. Das ist eine ständige Nervenprobe.“ Und kann Hartz IV bedeuten, denn Arbeitslosengeld I gibt es nur, wenn man ein Jahr am Stück beschäftigt war.
Eine andere Variante: Phasen ohne neuen Auftrag werden als Überstunden abgefeiert, ohne dass der Arbeiter selbst darüber verfügen kann.
Der Industriemechaniker bewirbt sich weiter für Festanstellungen. Warum er als gut ausgebildeter Facharbeiter keine Stelle findet, obwohl es doch genau an diesen Kräften in Deutschland mangeln soll? Gentzsch kann es sich nicht erklären, in seinem Lebenslauf gibt es keine Lücken. „Aber durch die vielen Einsätze ist er zerklüftet und schreckt vielleicht ab.“
Die Maschinenbaufirmen, bei denen er arbeitet, nehmen sich bevorzugt Leiharbeiter, wenn sie Auftragsspitzen haben. Daher stünde von Anfang an fest, dass nichts Langfristiges draus wird.
Laut Stephan Gentzsch gibt es eine Sache, die ihm besonders zeigt, in welcher Position er sich befindet: „Am Ende jeder Woche muss ich meinen Stundenzettel abzeichnen lassen. Sich immer zu fragen, wie es danach weitergeht, zehrt an den Nerven.“