Herr Hardt, Sie kommen gerade von einer USA-Reise zurück. Wie haben Sie die politische Stimmung dort wahrgenommen?
Interview Jürgen Hardt (CDU): Ich halte die Militäraktion in Syrien für hochgefährlich
Jürgen Hardt (CDU) spricht im Interview über die Lage in Syrien und die Rolle von EU und Nato.
Jürgen Hardt: Die innenpolitische Lage ist stark von außenpolitischen Themen überlagert. Der Präsident braucht dringend außenpolitische Erfolge durch das Einlösen von Versprechen, die er im Wahlkampf und als Präsident gegeben hat.
Zum Beispiel, dass er Soldaten nach Hause holt…
Hardt: Das ist ein Credo von Trump. Dieses Ziel hatte auch schon Obama. In Afghanistan und im Irak hat es leider zum Wiedererstarken der Aufständischen geführt.
Warum macht Trump
das jetzt?
Hardt: Ich glaube, dass er eine Vereinbarung mit Erdogan, sich nicht einzumischen, als innenpolitisch populär erachtet. Gleichzeitig beschimpft er Europa und Deutschland und wirft ihnen mangelndes Engagement vor. Dem entgegne ich, dass wir im Norden des Irak massiv Militärhilfe gegen den IS geleistet haben und im Bundestag gerade über die Verlängerung des Anti-IS-Mandates beraten. Ich sehe dafür eine Mehrheit. Im Übrigen ist Deutschland auch bereit, Verantwortung zu übernehmen für IS-Kämpfer, die deutsche Staatsbürger sind. Doch nicht für jeden, der das von sich behauptet, stimmt dies auch.
Jetzt ist das eingetreten, was viele befürchtet hatten: Die Türkei hat mit einer Offensive in Nord-Syrien begonnen. Was bedeutet dies für die Region, auch für die Nato? Und haben Deutschland und Europa wirklich genug gemacht?
Hardt: Trotz aller internationalen Appelle hat Erdogan entschieden, jetzt zu militärischen Maßnahmen zu greifen. Ich halte dies für hochgefährlich. Und gerade mit Blick auf die aufflammenden Kämpfe in Idlib kann ich jetzt nur warnen, dass sich die türkischen Streitkräfte größtmöglich zurückhalten und auf diejenigen konzentrieren, die des Terrorismus verdächtig sind. Die Zivilbevölkerung und jene, die an der Seite der freien syrischen Kräfte und der Amerikaner gegen das Assad-Regime gekämpft haben, müssen unter allen Umständen verschont bleiben.
So ein Appell soll reichen?
Hardt: Natürlich müssen wir Europäer mehr Verantwortung übernehmen. Aber selbst wenn Deutschland und Europa am Boden militärisch beteiligt wären, würde das ja den Strategiekonflikt zwischen der Türkei und der sonstigen Anti-IS-Allianz nicht lösen, dass die Türkei die Kurden in Nordsyrien als Bedrohung seiner Sicherheit ansieht.
Das ist erst recht kein Grund, ihrem Appell zu folgen.
Hardt: Die Türkei muss ein eigenes Interesse daran haben, den jetzt mühsam in Gang gekommenen internationalen Friedensprozess zu unterstützen, der zu einem stabilen Syrien ohne Assad führen soll. Die einzige Lösung hierfür ist, dass die Regierung eines stabilen Syriens auch die Sicherheitsinteressen der Türkei im Hinblick auf Verhinderung von Terrorismus vertritt.
Nun ist Syrien nicht der einzige Krisenherd. Wir erleben an vielen Stellen, dass die Weltgemeinschaft auseinanderdriftet. Und Europa hat nicht mehr als den Hinweis auf das Völkerrecht. Aber der ist angesichts des grassierenden Nationalismus‘ ein ziemlich stumpfes Schwert geworden.
Hardt: Ich erwarte von der neuen EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen, dass die EU zu mehr Geschlossenheit und zu einer größeren Handlungsfähigkeit in solchen außenpolitischen Fragen findet.
Was macht Sie in dieser Hinsicht zuversichtlich?
Hardt: Ich weiß, dass die derzeitigen EU-Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, Belgien, Großbritannien, Frankreich, Polen und Deutschland, sehr gut zusammenarbeiten. Aber der Prozess ist ausbaufähig. Man darf sich keine Illusionen machen, dass der UN-Sicherheitsrat außer beim Atomabkommen mit dem Iran nicht mehr zu der Geschlossenheit gefunden hat, die notwendig ist, weil wichtige Initiativen am Veto Russlands oder Chinas gescheitert sind. Daraus ergibt sich ein Vakuum in wichtigen politischen Fragen, das leider so ohne weiteres nicht auflösbar ist. Wenn die Europäische Union zu einem handlungsfähigeren internationalen Akteur würde, könnten neue politische Spielräume entstehen.
Aber die EU schafft es ja nicht einmal, Einigkeit in der Flüchtlingsfrage zu erzielen, weswegen sie sich von der Türkei erpressbar gemacht hat.
Hardt: Die EU-Flüchtlingsabsprache mit der Türkei ist ein wichtiger Meilenstein bei der Kontrolle der Flüchtlingsbewegungen gewesen. Bis zum heutigen Tage tun die beteiligen Seiten viel dafür, dass sie erhalten bleibt.
Aber es hat aus der Türkei auch schon Drohungen gegeben, das Abkommen aufzukündigen.
Hardt: Das hat mit der Situation zu tun, dass die Türkei am Ende ihrer Aufnahmefähigkeit ist und sich möglicherweise eine neue Flüchtlingswelle ergibt. Die türkische Seite hatte zuletzt Probleme, die Grenze zu Syrien bei Idlib zu sichern. Die Europäische Union muss mit der Türkei darüber reden, wie man mit dieser Situation umgeht.