Klarer Schuldenschnitt für Athen rückt näher
Berlin (dpa) - Vor den Beratungen der 17 Eurostaaten in Brüssel verstärken sich die Anzeichen, dass Griechenland mit einem deutlichen Schuldenerlass aus der Existenzkrise geholfen werden soll.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutete in der Unionsfraktion die Bereitschaft zu einem höheren Schuldenschnitt als bisher geplant an. Man nähere sich dem Punkt, an dem die Schuldentragfähigkeit Griechenlands mit 21 Prozent Reduktion nicht mehr ausreiche, sagte Merkel am Freitagmorgen nach Angaben von Teilnehmern. Diese Zahl war im Juli von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen worden.
SPD und Grüne im Bundestag kritisierten, dass die Abgeordneten bisher keine Informationen hätten, wie ein sogenannter Hebel zur Erhöhung des mit 440 Milliarden Euro Kreditsumme ausgestatten Rettungsschirms EFSF aussehen soll. Sie forderten, dass der Bundestag damit befasst werden soll und nicht nur der Haushaltsausschuss, scheiterten aber mit einem entsprechenden Antrag. Wegen der Verschiebung der Euro-Entscheidungen auf kommende Woche wird Merkel wohl nächsten Mittwoch eine Regierungserklärung dazu abgeben.
Der Vorsitzende der Eurogruppe, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, kritisierte die Aufspaltung des Euro-Krisengipfels auf zwei Termine scharf: „Die Außenwirkung ist desaströs“, sagte Juncker in Brüssel am Freitag vor Beratungen der Finanzminister der 17 Eurostaaten. Die deutsche Regierung hatte am Vortag mitgeteilt, dass über die Stärkung des Euro-Rettungsfonds EFSF nicht wie ursprünglich geplant am Sonntagabend entschieden werden solle. Es gebe noch Beratungsbedarf, so dass erst am kommenden Mittwoch ein weiterer Krisengipfel entscheiden soll.
„Es reicht nicht, wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind“, sagte Juncker. Die Eurogruppe werde sich „hoffentlich auf die Auszahlung der nächsten Rate der Griechenland-Hilfen in Höhe von 8 Milliarden Euro einigen. Es werde auch die „Hebelung“ des Rettungsfonds beraten.
In der Regierungskoalition von Union und FDP wachsen die Zweifel über die Konsequenzen eines solchen Kredithebels - daher wäre eine Abstimmung für Schwarz-Gelb im Bundestag mit Blick auf die eigene Mehrheit nicht ohne Risiko gewesen.
Mit einem Kredithebel könnte über eine Art Teilkaskoversicherung - indem über den EFSF nur ein Teil des Ausfallrisikos übernommen wird - die Schlagkraft auf angeblich bis zu eine Billion Euro erhöht werden.
Für das zweite Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 17 Euroländer am Mittwoch (26.10.) gab es zunächst noch keine offizielle Einladung von EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Die Abstimmungen mit den Hauptstädten liefen noch, hieß es. Das neue Treffen werde voraussichtlich am Mittwochnachmittag beginnen und bis in die Nacht dauern. Am Sonntag sollen beim ersten EU-Gipfel nur die Entscheidungen vorbereitet werden, weil zunächst in Deutschland das Parlament in Form des Haushaltsausschusses mit den geplanten Schritten befasst werden muss.
Deutschlands Anteil am EFSF beträgt maximal 211 Milliarden Euro. Durch einen Hebel soll sich an den deutschen Beteiligungskosten nichts ändern, betont die Regierung. Es geht praktisch darum, weitere Kreditgeber mittels einer Versicherungslösung ins Boot zu holen, um so die Schlagkraft zu erhöhen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte: „Wir werden unser Wächteramt im Interesse des deutschen Steuerzahlers für eine vernünftige Entwicklung in Europa voll wahrnehmen.“ Nach Ansicht von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) ist keine Neubefassung des gesamten Bundestags nötig.
Merkel sagte in der Fraktionssondersitzung der Union, die Verzögerungen lägen weniger an den Differenzen mit Frankreich als an technischen Fragen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekräftigte, dass Deutschland der von Frankreich verlangten Banklizenz auf keinen Fall zustimmen werde. Mit einer Banklizenz könnte sich der Fonds - wie eine Bank - Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen und so bei Pleiten das Risiko für den Steuerzahler erhöhen, der letztendlich für Ausfälle bei der EZB geradestehen muss.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte nach einer Sondersitzung das Euro-Krisenmanagement der schwarz-gelben Koalition einen „unglaublichen Vorgang“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, warf Schwarz-Gelb vor, es solle ein Verlustrisiko beschlossen werden, ohne die Öffentlichkeit ausreichend einzubinden. Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verlangte eine Entscheidung im Bundestag.
Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) drohte den Euro-Schuldenstaaten mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit im Falle eines Rückfalls in die Rezession. Sollte es dazu kommen, würde man Frankreich, Spanien, Italien, Irland, und Portugal um eine oder zwei Noten herabstufen, so S&P in einer am Freitag veröffentlichten Studie. Besonders problematisch wäre für die Eurozone die Herabstufung Frankreichs, das derzeit noch die Topnote „AAA“ hat. Die Ratingagentur Fitch hat nach eigener Aussage keine Pläne für eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs. Der Deutsche Aktienindex Dax schnellte nach dieser Aussage am Freitag nach oben.