Konzerne wollen Milliarden an Schadenersatz
Eine Verfassungsklage könnte Angela Merkels Ausstieg aus der Atomenergie stoppen.
Hamburg. Die großen Stromkonzerne in Deutschland meinen es offenbar ernst: Sie wollen das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie mit einer Verfassungsklage kippen. Außerdem prüfen sie milliardenschwere Schadenersatzforderungen.
Für die Klagen haben die Konzerne bereits namhafte Anwaltskanzleien engagiert. Der Vorwurf: Die den Konzernen im Jahr 2000 zugestandenen Reststrommengen für Atomkraftwerke seien Eigentum der Konzerne, das durch das Eigentumsrecht des Grundgesetzes geschützt sei. In dieses Eigentumsrecht jedoch greife der Staat mit dem geplanten Ausstiegsgesetz massiv ein, ohne bislang „stringente Gründe dafür zu liefern“, heißt es in einem 80-seitigen Gutachten der Kanzleien. Somit stünde den Konzernen Schadenersatz zu — und der liegt nach Schätzungen der Konzerne im zweistelligen Milliardenbereich.
Offenbar erwägt der schwedische Konzern Vattenfall wegen der dauerhaften Stilllegung seines Atommeilers Krümmel sogar, ein internationales Schiedsgericht anzurufen, falls eine gütliche Einigung mit Berlin nicht zustande kommt. Auch die von der Bundesregierung verhängte Brennelementesteuer wollen die Konzerne anfechten. Bereits in der nächsten Woche legt RWE erste Einsprüche beim zuständigen Finanzamt ein.
Bei einer Konferenz mit Kreisvorsitzenden der CDU verteidigte Kanzlerin Merkel den Kurswechsel in der Atompolitik. Die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima habe es notwendig gemacht, „angesichts dieses neu zu bewertenden Restrisikos auch unsere Energiepolitik noch einmal zu überdenken“, sagte sie. „Ich finde, das ist etwas, das eine Volkspartei tun sollte, wenn sie der Realität ins Auge schauen will.“
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kritisierte den schnellen Kurswechsel seiner Partei in der Atompolitik. Er sagte, die „Tugenden“ der Union seien „bei der Energiewende zu kurz gekommen: Solidität, Weitblick und die Fähigkeit, das Ende zu bedenken“. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) warb mit Verweis auf die wirtschaftlichen Chancen für die Energiewende. Das Projekt sei ein „wirtschaftliches Erneuerungsprojekt, wo viele Handwerker beteiligt sind, wo mittelständische Unternehmen dabei sind“, sagte er.