Duisburg/Düsseldorf Abgeschobene Bivsi ist wieder zu Hause

Am Mittwochmorgen traf die Schülerin am Düsseldorfer Flughafen ein und wurde von Mitschülern und Unterstützern euphorisch begrüßt.

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Düsseldorf. Es verschlägt ihr die Sprache. Ungläubig schlägt Bivsi die Hand vor den Mund und kann die Tränen schließlich nicht mehr zurückhalten, als sie im Blitzlichtgewitter der Presse und im Fokus der Fernsehkameras den Gang in die Wartehalle des Düsseldorfer Flughafens passiert. Endlich zu Hause, endlich auf deutschem Boden. Ihre Klassenkameraden tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Bivsi“ und halten mit Herzen bemalte Willkommensschilder in die Höhe.

Die 15-Jährige ist überwältigt von dem Empfang und fliegt einem nach dem anderen in die Arme. Zuerst ihrem Bruder, der die vergangenen Wochen in Deutschland zwischen Bangen und Hoffen verbracht hat. „Es ist einfach nur schön, dass sie jetzt zurückkommt“, sagt er, den Blick fest auf den Gang gerichtet, kurz bevor er seine Schwester in die Arme schließen kann.

Die vergangenen zwei Monate dürfte die aus Nepal stammende Familie als eine einzige Zitterpartie erlebt haben. Seit fast 20 Jahren lebt sie bereits in Duisburg und gab dabei stets ein Musterbeispiel gelungener Integration ab. Wegen eines Bürgerkriegs war das Paar ursprünglich aus Nepal geflohen und baute sich im Ruhrgebiet eine neue Existenz auf, Tochter Bivsi wurde in Deutschland geboren. Eine gute Schülerin, die am Duisburger Steinbart-Gymnasium schon die Weichen fürs Abitur gestellt hatte.

Doch seit der Ankunft der Familie in Deutschland im Jahr 1998 schwebt das Damoklesschwert der Abschiebung über ihr, Anfang Juni dann machte die Duisburger Ausländerbehörde ernst: Ohne Vorwarnung rissen Polizeibeamte Bivsi eines Morgens aus dem Unterricht, Tränen flossen dabei nicht nur auf Seiten der Schüler, sondern auch bei den Gesetzesvollstreckern in Uniform. „Die Kinder haben an diesem Tag Staat erlebt“, erinnert sich Schulleiter Ralf Buchthal an die Szene. „Die ersten zwei Wochen nach der Abschiebung herrschte an unserer Schule Ausnahmezustand.“

Der Druck der Öffentlichkeit auf die Behörden wuchs, der Protest gegen die Abschiebung wurde immer lauter. Schüler, Eltern und andere Unterstützer demonstrierten gemeinsam vor dem Duisburger Rathaus gegen die Entscheidung, ein Solidaritätskonzert wurde organisiert und auch in der Politik stellte sich ein breiter Unterstützerkreis hinter die Familie.

So sprach sich der Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags für eine Rückkehr der Duisburger nach Deutschland aus, auch NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) schaltete sich in die Debatte ein. „In Bivsis Fall ist fast alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann und es sind von verschiedenen Seiten Fehler gemacht worden — von der Familie, aber auch nahezu allen beteiligten Behörden.

Deshalb ist dieser Einzelfall auch nicht geeignet, um verallgemeinert zu werden“, konstatierte der liberale Politiker auf Anfrage unserer Zeitung schriftlich mit. Deshalb sei der Einzelfall auch nicht geeignet, um verallgemeinert zu werden. Und: „Das Aufenthaltsrecht muss grundsätzlich reformiert werden, um gut Integrierten eine sicheren Aufenthaltsstatus zu ermöglichen und Integrationsverweigerer und kriminelle Asylbewerber konsequenter abzuschieben.“

Für die Schüler des Steinbart-Gymnasiums hat Bivsis Geschichte etwas bewirkt, was wohl kein Politik-Leistungskurs je hätte leisten können, sagt Schülersprecherin Sarah Habibi: „Wir haben uns alle in den vergangenen Wochen mit Politik beschäftigt. Und wir haben gelernt, dass es sich lohnt, sich für Dinge einzusetzen, die falschlaufen.“ Nun verfügt die in Deutschland geborene Bivsi im Rahmen eines „Schüleraustausches“ über ein befristetes Visum, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Ihre Eltern dürfen sie bis zum Ende ihrer Schulzeit „aus humanitären Gründen“ begleiten, wie es von offizieller Seite heißt.

Dies war für die Behörden die einzige Möglichkeit, den Aufenthalt der Familie in Deutschland rechtssicher in trockene Tücher zu bringen. Nach Ablauf der Frist könnte Bivsi theoretisch einen neuen Antrag auf Verlängerung ihres Visums stellen, doch hoffen ihre Unterstützer, dass schon vorher eine dauerhafte Lösung für die Familie gefunden wird.

Auch Bivsis Eltern haben in ihrem verzweifelten Wunsch, in Deutschland bleiben zu dürfen, Fehler gemacht — so viel ist klar. Als das Paar 1998 in die Bundesrepublik einreiste, hatte es falsche Angaben zur Identität gemacht, was letztlich zu einer Ablehnung der Härtefallkommission des NRW-Landtags geführt hatte.

Dass deshalb Bivsi für die Verfehlungen ihrer Eltern quasi in Sippenhaft genommen werden sollte, wollten viele nicht akzeptieren. Allen voran der Duisburger Grünen-Politiker Felix Banaszak, der sich in den vergangenen zwei Monaten unermüdlich für die Familie eingesetzt hat. „Mit der UN-Kinderrechtskonvention wäre Bivsis Abschiebung wohl kaum in Einklang zu bringen, da sie noch nicht einmal die Landessprache spricht“, argumentiert er. „Alle Beteiligten müssen jetzt eine Lösung finden, damit die Familie eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland hat.“

Auf welches Fach sich Bivsi denn am meisten freue, wenn der Schulbetrieb nach den Sommerferien wieder losgeht, will ein Journalist wissen. „Auf alle!“ sagt Bivsi und wischt sich eine Träne aus dem Auge, bevor sie mit ihren Eltern aus der Masse verschwindet. Nach Hause, Richtung Duisburg.