Abitur 2008: Der Würfel des Grauens
Bildung: Schüler, Eltern und Lehrer greifen die Schulministerin an: Nach ihrer Auffassung waren die Prüfungsaufgaben viel zu schwierig und steckten voller handwerklicher Fehler.
Düsseldorf. Alexander Paulitschek ging gelassen in seine Mathematik-Abiturprüfung: Mit einer glatten Eins vorbenotet, freute sich der Krefelder Schüler auf einen Siegeszug in seinem Paradefach. Und er kannte die Prüfung aus dem vergangenen Jahr, die er als "ganz besonders einfach" empfunden hatte. Außerdem hatte sein Lehrer ihn akribisch auf das große Finale vorbereitet.
Doch nachdem die Aufgaben verteilt waren, begann der Albtraum. Die Uhr begann zu rasen, die Berechnungen waren höllisch kompliziert und dauerten Ewigkeiten. Zum Schluss blieb für die Oktaeder-Aufgabe nur noch eine halbe Stunde. Viel zu wenig. Der 19-Jährige, der Medizin studieren möchte, zuckt mit den Achseln: "Ich bin nicht fertig geworden, konnte nicht einmal die anderen Aufgaben überprüfen."
Paulitschek war in seiner Not nicht allein. Überall in Nordrhein-Westfalen hatten sich die Mathe-Prüfungen zum kollektiver Nervenkrieg entwickelt. Mit dem Abstand von mehr als einem Monat sagt Alexander Paulitschek nun: "Das kriegt man in der vorgegebenen Zeit so nicht hin, der Umfang war ein Skandal."
Das schlechte Gefühl bleibt. Am kommenden Montag erhält er seine Mathe-Note. Weicht die deutlich von der Vornote ab, muss er in die Abweichprüfung - "die Mündliche".
Erste Einschätzungen von Pädagogen deuten darauf hin, dass in diesem Jahr besonders viele Schüler in den Prüfungen abgesackt sind. "Lehrer haben durchblicken lassen, dass bis zu 70 Prozent in die Mündliche müssen", sagt der 19-Jährige. Gemeinsam mit seinen Freunden Rafael Llorente Alonso und Fabian Schmidt sammelt Alexander Paulitschek nun Unterschriften auf der Website www.matheboykott.de.vu, um Schulministerin Sommer unter Druck zu setzen.
Sauer sind nicht nur die Gymnasiasten. Kürzlich schaltete sich auch die Landeselternschaft der nordrhein-westfälischen Gymnasien ein. Sie forderte Sommer in einem offenen Brief auf, "die Bewertungsmaßstäbe für die Abiturarbeiten 2008 umgehend und einheitlich zu ändern", um den extremen Schwierigkeitsgrad der Aufgaben nachträglich abzufedern. Im Klartext: Die Noten sollen generell auf ein höheres Niveau gehoben werden, um Gerechtigkeit gegenüber anderen Abi-Jahrgängen herzustellen.
Die Schulministerin weist diese Forderung zurück und verweist auf "Beurteilungsspielräume im Bewertungssystem" der Lehrer. Vorwurf an die Pädagogen: Sie hätten etwa im Fall der umstrittenen Oktaeder-Aufgabe in der Mathematik auf andere Aufgaben ausweichen können. Prompt kam die Retourkutsche: "Es ist unverschämt, jetzt die Lehrer als Südenböcke darzustellen", schimpfte der Vorsitzende des Philologenverbandes, Peter Silbernagel. "Bei zentral gestellten Aufgaben trägt eindeutig das Ministerium die Verantwortung." Wegen der schulischen Schwerpunktsetzung bestünden in der Realität kaum Auswahlmöglichkeiten. Der Philologenverband wirft der Landesregierung "unzureichendes Krisenmanagement" vor. "Viele Lehrer sind erbost über die Beruhigungs- und Hinhaltetaktik im Schulministerium", sagt Silbernagel.
Die Kritik beschränkt sich längst nicht mehr auf die Oktaeder-Aufgabe. "Völlig überzogen war die Fülle des Arbeitsmaterials auch in den naturwissenschaftlichen Fächern, Geschichte, Sozialwissenschaften und Englisch", so der Philologenverband. Künftig müsse die Kontrolle der Aufgaben verstärkt werden, damit es im nächsten Jahrgang "zu weniger handwerklichen Fehlern kommt". Grundsätzlich hält Silbernagel das Zentralabitur aber für den richtigen Weg.