Alter + Größe = Schulreife?
Psychologin Elsbeth Stern ist gegen die Stichtagsregelung. Kinder sollen flexibel eingeschult werden, sobald sie so weit sind.
Düsseldorf. Wann sind I-Dötzchen im besten (Schul-)Alter? Diese Frage hat schon Generationen von Eltern, Lehrern und Wissenschaftlern zum Verzweifeln gebracht. Der berühmt-berüchtigte "Mit der rechten Hand über den Kopf und das linke Ohr berühren"-Test wurde einst als probates Mittel angesehen, die Schulreife eines Kindes festzustellen. Heute sind sich Experten einig, dass anhand von Alter und Größe allein keine relevanten Aussagen getroffen werden können.
Vielleicht gerade deshalb umfasst auch der Zeitraum möglicher Einschulungstermine in vielen Bundesländern derzeit fast zwei Jahre. Zurückgestellte Kinder sind an ihrem ersten Schultag manchmal schon acht Jahre alt und treffen auf Kinder, die vorzeitig ihre Schullaufbahn beginnen und noch keine sechs sind.
Die Professorin weiß, dass solche Forderungen umstritten sind. Nicht wenige Eltern fürchten, dass ihre Kinder überfordert werden. "Warum verkürzt man nicht gleich die Schwangerschaft?", sieht auch der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, die Grundschule ab vier Jahren kritisch.
Unterstützung erhält Stern hingegen von dem Münsteraner Schulpsychologen Lothar Dunkel, seit langem ein Verfechter der flexiblen Einschulung. Dunkel favorisiert eine Gleitzeit für die erste und zweite Klasse. Kinder sollen eingeschult werden, sobald sie reif genug sind - egal ob im August, Oktober oder Dezember.
Die flexible Schuleingangsphase, die nordrhein-westfälische Grundschulen unlängst eingeführt haben, ist ein erster Schritt zum jahrgangsübergreifenden Unterricht. Dennoch sieht Stern die Entwicklung kritisch, denn der Unterricht bleibe veraltet.
"Ist ein Kind schon weiter, kann es mit älteren Kindern zusammen lernen. Zeigt sich, dass es überfordert ist, kommt es zurück in die Spielgruppe", erklärt Stern. Statt flexibel auf Entwicklungen der Kinder zu reagieren, würde in Deutschland aber lieber getestet. "Dabei gibt es keine Diagnostik, die die Schulreife richtig bestimmen kann." Die Entscheidung erleichtern könnte eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Deren Bildungsexperten kamen bereits 2005 zu dem Schluss, dass eine späte Einschulung kein Garant ist für einen größeren Bildungserfolg.