Halbzeit der Regierung Rüttgers: König Jürgen I. von NRW

CDU und FDP regieren seit zweieinhalb Jahren. Eine Bilanz der Widersprüche.

Düsseldorf. Die Vorbereitungen laufen seit Monaten auf Hochtouren, die gesamte Staatskanzlei brummt: Es herrscht eine Stimmung wie im Vatikan, bevor eine neue Enzyklika herausgegeben wird. Der Umstand ist eigentlich banal: CDU und FDP haben vor zweieinhalb Jahren die Landtagswahl gewonnen, feiern also so etwas wie Halbzeit ihrer ersten Legislaturperiode. Die Inszenierung ist: Jürgen Rüttgers ist der neue Landesvater - vielleicht noch nicht so lange, aber hoffentlich auf Dauer.

Am kommenden Mittwoch will der CDU-Ministerpräsident im Landtag seine Zwischenbilanz der ersten Hälfte seiner Regierungszeit ziehen. Sie wird natürlich positiv ausfallen - wie auch sonst? Tatsächlich wird es wie immer bei Regierungserklärungen eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit sein. Grund genug, vorab schon eine Bilanz zu ziehen.

Und die ist keine eindimensionale. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat eine ganze Menge versprochen und das allermeiste gehalten. Das ist sehr viel wert. Dabei waren es nicht nur populistische, sondern oft genug sehr umstrittene Projekte, die die Koalition unter Rüttgers angestoßen hat. Fast überall gab es Konflikte: Beim neuen Schulgesetz mit der Verschärfung der Qualitätsanforderungen, der Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren, der Abschaffung der Schulbezirke, dem Zentralabitur. Oder im Bereich des Kindergartens: Das neue Gesetz dazu, von der Regierung wohlwollend "Kinderbildungsgesetz" ("Kibiz") genannt, kam erst verspätet, trieb zehntausende Demonstranten vor den Landtag und verprellte Kirchen und Wohlfahrtsverbände.

Vor allem aber gab es Widerstand aus den Kommunen. Sie liefen Sturm gegen die neue Gemeindeordnung, die den kommunalen Betrieben - in der Regel Stadtwerke - Fesseln anlegt. Auch die neue Wahlordnung sorgte für Unmut, eine Abkoppelung der Oberbürgermeister- beziehungsweise Landratswahl von der allgemeinen Kommunalwahl will vielen vor Ort nicht einleuchten. Auch hier gab es massive Proteste vor dem Landtag: mit führenden CDU-Kommunalpolitikern in der ersten Reihe.

Das sorgte für Schlagzeilen und für Unruhe in der CDU - was vor allem die FDP mit gezielten Nadelstichen ausnutzte. Die Liberalen müssen kaum Rücksicht auf ihre kommunale Basis nehmen, denn es gibt sie so gut wie nicht.

Daneben stehen die tatsächlichen Erfolge der schwarz-gelben Koalition. Zu ihnen zählt vor allem der Ausstieg aus der Kohlesubventionierung. Ab dem Jahr 2016 zahlt das Land keinen Cent mehr für die Zechen in NRW, deren Ende damit besiegelt ist. Das setzte Rüttgers im monatelangen Poker durch - gegen massiven Widerstand der SPD und der Gewerkschaften. Und auch bei den Schulen hat sich vieles zum besseren gewendet: Der Unterrichtsausfall ist zurückgegangen, es gibt mehr Lehrer und mehr Ganztagsbetreuung. Zwar kommt das Land noch nicht ohne Schulden aus, doch ist die Kreditaufnahme stark zurückgefahren worden. Und rechtzeitig vor den nächsten Landtagswahlen im Jahr 2010 wird Finanzminister Helmut Linssen (CDU) eine schwarze Null vorlegen, so die interne Planung.

Das alles wird Rüttgers auf der Habenseite verbuchen. Von einer souveränen Haltung ist er gleichwohl weit entfernt. Im Gegenteil: Er geriert sich oft genug als abgehobener Souverän. Sein Umfeld tut das seinige dazu. Fast jeder Rüttgers-Auftritt wird mittlerweile wochenlang minutiös vorbereitet, manchmal werden gar Kinder als bezahlte Stichwortgeber engagiert. Klappt etwas nicht wie geplant, gibt es intern oft genug eine böse Manöverkritik.

Rüttgers selbst lässt immer wieder durchblicken, an wem er sich orientiert: Helmut Kohl und Johannes Rau. Kohl ist ihm Vorbild als Machtmaschine, die sich die CDU untertan gemacht hat. Rau ist die Blaupause als Landesvater - Menschenfischer und Volkes Liebling. Den Kohl hat er dabei gut drauf. Innerhalb der früher notorisch zerstrittenen NRW-CDU geht gegen Rüttgers schon lange nichts mehr. Gibt Rüttgers hingegen den Rau, wie etwa beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen des Landes oder eben im Umgang mit Bürgern, wirkt vieles aufgesetzt, knöchern und verkrampft.

Es ist also ein gemischtes Bild von den ersten zweieinhalb Jahren Schwarz-Gelb nach 39-jähriger SPD-Herrschaft in NRW. Was noch kommt: nicht mehr viel. Denn das Programm aus dem Koalitionsvertrag ist weitgehend abgearbeitet, lediglich das Sparkassengesetz und der Verkauf der WestLB stehen noch aus. Was man sagen kann: Rüttgers ist unangefochten die Nummer 1 im Land, muss keinerlei interne Konkurrenz fürchten. Mit dem Blick auf die Umfragewerte auch der SPD muss man sagen: Zu Fall kann ihn eigentlich nur die eigene Überheblichkeit bringen.