Interview: „Es wird unter Schwarz-Gelb keine soziale Kälte geben“
Der NRW-RegierungschefJürgen Rüttgers verteidigt die Einigung von Union und FDP.
Herr Rüttgers, nun tauscht Frau Merkel die SPD-Minister durch Liberale aus, war es das?
Rüttgers: Nein, jetzt machen wir Politik für Wachstum und soziale Sicherheit gleichzeitig. Es wird unter Schwarz-Gelb keine soziale Kälte geben. Das Etikett "neoliberal" für diese Koalition war doch immer nur ein Kampfbegriff.
Ist Frau Merkel zu beneiden oder muss man Mitleid mit ihr haben?
Rüttgers: Die Krise ist nicht zu Ende. Aber wir haben gemeinsam die Chance, dass wir mit unserer Industrie im internationalen Wettbewerb erfolgreich bleiben.
Was war der kritische Punkt in den Verhandlungen?
Rüttgers: Die Finanzierung der Steuerentlastungen. Was man macht, muss bezahlbar sein.
Da mussten Sie die FDP von Wolke Sieben runterholen?
Rüttgers: Wir haben zusammen gelernt, dass wir Kompromisse eingehen müssen, dass vor allem alle gewünschten Steuersenkungen nicht in einem Schritt zu finanzieren sind.
Woher soll das Geld kommen?
Rüttgers: Der Abschwung ist voraussichtlich nicht so schlimm wie befürchtet. Das eröffnet Spielräume. Aber wir müssen auch sparen, zum Beispiel durch Bürokratieabbau und durch Erhöhung der Produktivität.
Das reicht ja wohl nicht. Bekommen wir nicht in Wahrheit eine Steuerreform auf Pump?
Rüttgers: Für eine Zwischenphase geht es in die Verschuldung rein. Aber über ein höheres Wachstum wird sich die Steuerreform mittelfristig maßgeblich finanzieren.
Die Trennlinie verlief auch zwischen Bund und Ländern, oder?
Rüttgers: Die Reform muss auch auf der Landesebene bezahlbar sein. Da haben wir einen sehr guten Kompromiss erzielt.
Sind Sie sicher, dass die Sozialbeiträge nicht erhöht werden?
Rüttgers: Es soll durch die Politik keine Beitragserhöhungen geben. Sollte es zu einem ungebremsten Kostenanstieg kommen, zum Beispiel bei der Gesundheit, ist das Sache der Versicherer.
Bei der Finanzierung der sozialen Systeme haben Sie zum Schluss die Linie verloren. Erst gab es einen Fonds, dann nicht. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Haben Sie das noch verstanden?
Rüttgers: Zugegeben, es war ziemlich holprig. Da sind auch Pannen passiert. Aber die sind umgehend korrigiert worden.
Im Ergebnis ist die Kontinuität frappierend. Will die Union jetzt auch noch den sozialdemokratischen Part übernehmen und die SPD völlig überflüssig machen?
Rüttgers: Glauben Sie mir: Ich empfinde keine Schadenfreude darüber, dass die SPD ein so katastrophales Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielt und den Charakter einer Volkspartei verloren hat. Das sagt Herr Gabriel. Aus dem Identitätsverlust der SPD ergibt sich für die CDU eine große Verantwortung. Wir müssen den Johannes-Rau-Wählern, die von der Annäherung der SPD an die Linke abgeschreckt werden, eine politische Heimat geben.
Jetzt haben Sie den Rücken frei für Mai 2010. Ist das nicht der größte Vorzug der neuen Koalition?
Rüttgers: Mir ging es - und zwar über Nordrhein-Westfalen hinaus - darum, dass wir als Koalition ein Fundament für eine Politik der Mitte legen. Ich habe dafür gekämpft, dass soziale Zumutungen ausbleiben, die Interessen der Arbeitnehmer gewahrt werden.
Im Klartext, bitte!
Rüttgers: Keine Einschränkung bei Mitbestimmung und beim Kündigungsschutz. Höheres Schonvermögen und höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger. Gerade auf Drängen der Landes-CDU soll jeder, der lebenslang zu einem geringen Einkommen einer geregelten Arbeit nachgegangen ist, auch eine Rente bekommen, die über dem Hartz-IV-Satz liegt. Den bekommt nämlich jemand, der nicht gearbeitet hat.