Interview mit SPD-Landeschefin Hannelore Kraft zum Fall Clement: „Ich bedaure, dass es so gekommen ist“

Hannelore Kraft, Vorsitzende der NRW-SPD, zum Clement-Urteil, zu Hartz IV und zum Umgang mit Johannes Rau.

Frau Kraft, was ist Ihre Reaktion auf die Entscheidung der Landesschiedskommission, Wolfgang Clement aus der SPD auszuschließen?

Kraft: Zunächst einmal: Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Wolfgang Clement hat das Bundesschiedsgericht angerufen. Da es sich also um ein schwebendes Verfahren handelt, kann ich mich damit nicht inhaltlich zum jetzt ergangenen Schiedsspruch äußern. Aber: Ich bedauere ausdrücklich, dass es so weit gekommen ist.

Clement hat Sie einst zur Ministerin gemacht und Sie immer wieder gefördert. Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis bezeichnen?

Kraft: In der Tat haben wir ein gutes persönliches Verhältnis. Politisch war ich nicht immer einer Meinung mit ihm. Damit können wir beide umgehen. Grundsätzlich gilt für mich, dass ich kantige Typen mag. Die braucht eine Partei auch. Die SPD ist eine Volkspartei mit einer großen politischen Spannbreite.

Unabhängig vom dem Ausschlussverfahren ist es doch so, dass viele Funktionäre an Ihrer Basis die Agenda 2010 nach wie vor ablehnen und als Angriff auf den Sozialstaat sehen - so auch in Bochum beim Ortsverein Hamme, der Clement weghaben wollte.

Kraft: Ich stehe grundsätzlich zu den Reformen. Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, also der Kern von Hartz IV, war richtig. Aber das grundsätzliche Ja zu den Reformen schließt doch nicht aus, dass man die Gesetze auch wieder ändern kann, wenn sie sich in der Praxis nicht bewährt haben. Bei der Rente mit 67 haben wir immer gesagt, dass es für besonders belastete Berufsgruppen flexible Übergänge geben muss. Und diese Zusage lösen wir jetzt auch ein.

Aber Hartz IV hat die SPD massive Zustimmung gekostet. Haben Sie das damals geahnt?

Kraft: Ja, zumindest, dass es schwierig werden würde. Aber das Land brauchte nach der langen lähmenden Kohl-Ära Reformen.

Das hört sich ja sehr edel an, wird aber in einigen Teilen der SPD anders gesehen.

Kraft: Alle Reformen sind von Parteitagsmehrheiten beschlossen worden - wie übrigens auch die Korrekturen an ihnen.

Die Kanzlerin ist wesentlich pragmatischer als Sie. Frau Merkel hat die radikalen CDU-Vorschläge vom Leipziger Parteitag eiskalt einkassiert und darf jetzt regieren.

Kraft: Die CDU war schon immer - anders als die SPD - ein Kanzlerwahlverein. Für uns ist klar: Gute Politik ist von Inhalten geleitet und nicht allein von Machtstreben.

Aber die CDU wird Sie wieder vorführen: mit Steuergeschenken und der Wiedereinführung der Pendlerpauschale.

Kraft: Wir haben die Sorgen und Nöte der Menschen bei den explodierenden Spritpreisen nicht weniger im Blick als die Union. Aber Entscheidungen muss man auf einer soliden Basis treffen.

Deshalb müssen wir das Urteil aus Karlsruhe abwarten. Außerdem arbeitet eine SPD-Arbeitsgruppe ,Energiepreise’ bereits an Vorschlägen. Die Bürger entlarven populistische Schnellschüsse.

In NRW gibt der CDU-Mann Rüttgers den politischen Erblasser von Johannes Rau, der als SPD-Politiker das Land geprägt hat wie kein anderer. Warum lassen Sie sich das gefallen?

Kraft: Die Leute lieben das Original, aber nicht die Fälschung. Ich bin da ganz gelassen: Die Johannes-Rau-Wähler sind zu schlau, um auf diese Schauspielerei von Ministerpräsident Rüttgers hereinzufallen.

Sie sehen sehr genau, dass Johannes Rau nie eine unsoziale Politik wie Herr Rüttgers gemacht hätte. Wir sind und bleiben stolz auf Johannes Rau, und wir Sozialdemokraten werden sein Andenken bewahren.

Wie?

Kraft: Mit einer Veranstaltung in der Wuppertaler Stadthalle. Es werden Avi Primor, Kurt Beck und auch ich sprechen, Christina Rau und viele Weggefährten haben Ihr Kommen zugesagt. Wir haben übrigens auch Jürgen Rüttgers eingeladen. Damit gedenken wir des Landtagsabgeordneten Rau, der vor 50 Jahren ins Parlament kam, und des Ministerpräsidenten, der vor 30Jahren vereidigt wurde.

Kommt auch Wolfgang Clement?

Kraft: Natürlich ist er eingeladen.

Zwei Jahre vor der Landtagswahl in NRW liegt die SPD weit hinter Rüttgers. Muss ein Wunder passieren, damit Sie eine Chance haben?

Kraft: Wir sind natürlich abhängig von der Stimmung und Lage in Berlin. Die ist derzeit nicht rosig für uns, vorsichtig gesagt. Nur mit Geschlossenheit werden wir wieder in die Offensive kommen. Unsere Inhalte stimmen: Mindestlöhne, bei der Krankenversicherung Umstellung auf die Bürgerversicherung, Abschaffung von Studiengebühren, um nur einige Beispiele zu nennen.

Und auch in NRW werden unsere Positionen und Personen immer deutlicher, je näher die Wahl rückt. Die Politik des Ministerpräsidenten "Links blinken und rechts fahren" wird immer mehr entlarvt. Seine Chaos-Schulpolitik ist ein einziges Experiment auf dem Rücken unserer Kinder: Statt Chancen zu schaffen, wird der Aufstieg verbaut.

Muss es nicht in Ihrem Sinne sein, Steinmeier so schnell wie möglich als Kanzlerkandidat auszurufen, um wieder in die Offensive zu kommen?

Kraft: Der Kanzlerkandidat steht nicht fest. Wir bleiben bei unserem Zeitplan.