Ist die Hauptschule zu retten?
Während NRW an der Schulform festhält, sieht Experte Rösner ihr Ende gekommen.
Düsseldorf. 40 Jahre nach ihrer Einführung steht die Hauptschule in Nordrhein-Westfalen am Scheideweg. "Das Image ist im Keller. Doch wir geben ihr eine neue Perspektive", verspricht Bernhard Recker, Vize-Chef der CDU-Landtagsfraktion. "Die Eltern wenden sich ab", resümiert hingegen Ernst Rösner, Wissenschaftler am Institut für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund. Selbst in CDU und FDP wird inzwischen über Alternativen diskutiert.
Bereits im Herbst 2007 sorgte NRW-FDP-Chef Andreas Pinkwart mit dem Vorstoß für eine Bündelung von Haupt-, Real- und Gesamtschule zu einer neuen "Mittelschule" für Ärger in den eigenen Reihen. Erst kürzlich betonte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk: "Die CDU muss sich dringend von dem Mantra verabschieden, dass die Hauptschulen gute Bildung in der Breite sichern."
Die schulpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Ute Schäfer, ist sich längst sicher: "Die Hauptschule ist nicht zu retten." Und Schulentwicklungsforscher Rösner sieht im Gespräch mit unserer Zeitung gar bis zu zwei Drittel der etwa 700 Hauptschulen in NRW in ihrer Existenz gefährdet.
Fakt ist: Viele Einrichtungen haben für das Schuljahr 2008/09 nicht einmal 20 Anmeldungen. Nach den Vorgaben des Schulgesetzes sind jedoch mindestens 48Schüler pro Jahrgang nötig, um die Zweizügigkeit und damit das langfristige Überleben einer Schule sicherzustellen. "Weil die Schulform von der Landesregierung aber ausdrücklich gewollt ist, werden Genehmigungen großzügig gehandhabt", stellt Rösner fest.
Die Einzügigkeit in Klasse 5 sei längst die Regel. "Früher wurde eine einzelne Eingangsklasse zugelassen, wenn den Kindern etwa die Fahrt in die nächste Gemeinde nicht zugemutet werden konnte. Heute gibt es selbst in Großstädten wie Dortmund mit vielen Hauptschulen einzügige fünfte Jahrgänge."
Angesichts sinkender Schülerzahlen laufe auch die Hoffnung ins Leere, dass sich spätestens im siebten Schuljahr durch Rückläufer von anderen Schulformen die Klassen füllen. "Inzwischen haben auch die Realschulen Angst um ihre Existenz und halten ihre Schüler." Ähnlich sehe es an den Gymnasien aus. "Ein Schüler macht immer den Bruchteil einer Lehrer-Planstelle aus", so Rösner.
100000Euro - zwei Lehrerstellen - kostet eine einzügige fünfte Klasse. "Das ist immer noch zehnmal günstiger, als die Jugendlichen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen", betont Bernhard Recker. Er glaubt, dass Hauptschüler in einem Massensystem untergehen. "Diese Jugendlichen brauchen eine spezielle Förderung, wie sie nur die Hauptschule bieten kann." Deshalb ist das Aus für diese Schulform für die CDU kein Thema.
Schulforscher Rösner sieht das anders. "Das alte Schreckgespenst der Einheitsschule verfängt nicht mehr." Zudem wollten viele Eltern ihr Kind nicht auf die Hauptschule schicken - "um die Chancen auf eine gute Ausbildung zu wahren". Rösner: "Die wahren Schulpolitiker sind die Eltern."
Seine Perspektive für die Hauptschulen: geordnet auslaufen lassen und den verbliebenen Schülern die bestmögliche Förderung bieten. Eine Standardlösung gebe es nicht, so lange das Gymnasium für die Politik sakrosankt sei. "Die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule wäre die schlechteste Lösung. Das würde eine neue Restschule", betont Rösner. Er plädiert für das Modell einer Gemeinschaftsschule, wie es in Schleswig-Holstein erfolgreich praktiziert wird.