Krafts Sieg im überhitzten Landtag
Große Emotionen und kühle Analysen bei der Wahl zur Ministerpräsidentin. Dank auch an den Amtsvorgänger Jürgen Rüttgers.
Düsseldorf. Vor allem aus Berliner Sicht gilt der nordrhein-westfälische Landtag als ein Labor. Schließlich soll hier zum ersten Mal in einem so großen Bundesland die Möglichkeiten einer Minderheitsregierung ausgelotet werden.
Der Ausgang des Experiments gilt als offen. Was man aber am Mittwoch sagen konnte: Es war sehr warm in dem Labor. Doch lief alles mehr oder weniger nach Plan.
Nach exakt einer Stunde, nach dem zweiten Wahlgang, stand es fest: Die 49-jährige Unternehmensberaterin Hannelore Kraft aus Mülheim ist die neue Ministerpräsidentin in NRW. Kraft, gerade neu frisiert und in einem dunkelblauen Kostüm, nahm den stehenden Applaus von SPD und Grünen zunächst mit jener Gelassenheit entgegen, die im Ruhrgebiet Standard ist.
Doch dann wirkte sie zunehmend gerührter. Als die anderen Fraktionen gratulierten, war das noch staatsmännisch. Als sie dann aber nach ihrer kurzen Ansprache zum ersten Mal in den Sessel des Ministerpräsidenten - extra mit zwei Kissen erhöht - setzte, sah man: Die Tochter eines Straßenbahnschaffners hat nun begriffen, dass sie ganz oben angekommen ist.
Und dann kam die Familie. Ehemann Udo Kraft hatte auf der Tribüne pausenlos die Kamera im Einsatz, Sohn Jan die Mutter und den ganzen Politikbetrieb beobachtet, während Mutter Anni Külzhammer einfach nur stolz auf die Tochter war. Sie eilten ins Plenum, um der nunmehr mächtigsten Frau zwischen Rhein und Weser zu gratulieren. Die freute sich ganz einfach.
Zuvor hatten zahllose Blumen und Sträuße den Besitzer gewechselt. Adressatin war meist Kraft, die selbst aber auch austeilte und ihren Vorgänger Jürgen Rüttgers mit einem schönen Gebinde überraschte. Der wirkte denn auch gerührt. Für die neue Ministerpräsidentin gab es zudem 66 rote Rosen - jeder der SPD-Landtagsabgeordneten überreichte ihr eine.
Zu Krafts großen Tag war zahlreiche SPD-Prominenz erschienen - zum Beispiel Ex-Parteichef Franz Müntefering, der ehemalige Ministerpräsident Peer Steinbrück, die ehemaligen Landesparteichefs Jochen Dieckmann sowie Harald Schartau und der langjährige Fraktionschef Edgar Moron. Steinbrück war nachher voll des Lobes. "Nach der Bundestagswahl im Herbst hätte ich nie gedacht, dass Hannelore Kraft hier in NRW gewinnen kann. Sie hat mich und viele andere überrascht. Aber sie hat es mit einem tollen Wahlkampf auch verdient", sagte er unserer Zeitung. Die CDU habe mit eigenen Fehlern das Übrige dazu getan: "Die haben Parteiinteressen mit Landesinteressen verwechselt. Und die Wähler haben Rüttgers nicht abgenommen, dass er der neue Johannes Rau ist."
Nicht ganz so analytisch, aber ähnlich positiv bewertete Müntefering die Lage: "Hannelore Kraft hat in den Sondierungsgesprächen gezeigt, was in ihr steckt. Das wird eine gute Sache." Ein typischer Müntefering-Satz.
Mittwoch Nachmittag dann ging Kraft in die nahe Staatskanzlei, wo sie nun residiert. Dort übergab ihr Rüttgers die Amtsgeschäfte. In der Personalversammlung für die Mitarbeiter der Staatskanzlei versprach sie allen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Am Donnerstag will sie ihr Kabinett vorstellen. Und danach wird regiert.