Lehrer in NRW: Zwischen Industrie und Schule

Ein Seiteneinsteiger provoziert: „In der Wirtschaft ist der Druck viel höher.“

Wermelskirchen. Jeder zweite Lehrer fühlt sich durch den Stress in seinem Beruf im Übermaß belastet, jeder dritte zeigt Anzeichen von Selbstüberforderung und Resignation und schwebt in Gefahr, dauerhaft krank zu werden. So das Ergebnis der viel beachteten Potsdamer Studie, in der von 2000 bis 2006 die Belastungen des Lehrerberufs analysiert wurde.

Die öffentliche Wahrnehmung ist vielfach jedoch eine andere. "Lehrer sind faule Säcke", hatte etwa Ex-Kanzler Gerhard Schröder den Berufsstand einmal verunglimpft. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wollte die Pädagogen gar zwangsverpflichten: zur Computerfortbildung und zu Praktika in der Wirtschaft - um "den harten Alltag dort kennenzulernen", so seine Begründung.

Hans-Werner Bauss kennt beide Seiten. Der 53-Jährige arbeitete 20 Jahre als Maschinenbauingenieur, bevor er Lehrer wurde. Seit 2003 unterrichtet der Wermelskirchener als Seiteneinsteiger an einer Hauptschule Mathematik, Physik und Technik. Seine provokante These: "Lehrer sind vergleichsweise gut bezahlt und haben einen lebenslangen Job - egal, was sie leisten oder wie lange sie krank sind." Über Hartz IV müsse keiner nachdenken.

Solche Aussagen kommen in den Kollegien nicht gut an. Denn die Stimmung ist bei vielen auf dem Nullpunkt. Nicht allein wegen des schlechten Images, sondern auch wegen der Belastung. So befürchtet der nordrhein-westfälische Lehrerverband nach dem Prüfungsmarathon der vergangenen Monate nun eine Konferenzhektik: Förder- und Qualitätskonzepte, Lehrplanabsprachen und Abstimmungsprozesse über Kopfnoten stünden an.

Dennoch hält der Seiteneinsteiger an seiner Kritik fest. "Lehrer tun so, als seien sie die einzigen in der Republik, die arbeiten", legt er sogar nach. Als Ingenieur habe er 60 bis 70 Stunden in der Woche gearbeitet - als Lehrer käme er in der Schule auf 28 Unterrichtsstunden. "Die Zeit für Korrekturen und Vorbereitung teile ich mir zu Hause ein", so Bauss. Wer am Wochenende arbeite, habe in der Woche zu wenig getan.

Einschränkend gibt der 53-Jährige zu, dass er mit seiner Fächerkombination Korrekturfächer betreue, die nicht ganz so arbeitsaufwändig seien. "Natürlich gibt es in der gymnasialen Oberstufe korrekturintensivere Fächer." Doch nicht jede Arbeit müsse neu gestaltet, sondern nur abgeändert werden. Gleiches gelte für die Unterrichtsvorbereitung. Und die Mehrarbeit durch Lernstandserhebungen oder zentrale Abschlussprüfungen? "Diese Dinge sind notwendig", sagt Bauss. "Dazu kommen Konferenzen und im Zweifel undankbare Pöstchen, die in der Summe aber kein Grund sind, sich zu beklagen."

Dass Akademiker in der Wirtschaft mehr verdienen als Lehrer und bessere Aufstiegschancen haben, wiegen nach Meinung des Hauptschullehrers die Vorteile des Pädagogendaseins nicht auf. "In der Industrie ist der Druck viel höher." Eine Kontrolle ihrer Arbeit sei Lehrern fremd. Das seien "keine Teamarbeiter".

Auf Fragen nach der Unterrichtsqualität oder einem nicht erreichten Klassenziel gebe es seitens Schulleitungen und Schulaufsicht keine Antwort. Im Zweifel seien die Schüler schuld. Auch der Schul-Tüv laufe ins Leere. "Wenn die Prüfer Missstände aufdecken, gibt es keine Sanktionen."

Lehrersuche In Nordrhein-Westfalen werden auch in den nächsten Jahren in bestimmten Schulformen und für ganz bestimmte Unterrichtsfächer Lehrer benötigt, die nicht die klassische Lehrerausbildung absolviert haben. Um die Unterrichtsversorgung in allen Fächern zu sichern, hat das Land für Universitätsabsolventinnen und -absolventen bis auf Weiteres Einstellungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für den Schuldienst eröffnet.

Qualifikationen Realschulen und Gesamtschulen suchen bereits heute nach Seiteneinsteigern insbesondere mit Qualifikationen in Englisch, Kunst, Mathematik, Musik, Physik, Französisch und Informatik. Erst ab 2009 ist mit mehreren hundert Einstellungsmöglichkeiten jährlich für Seiteneinsteiger an Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu rechnen.