Meisner hält an umstrittener Aussage fest
Unterdessen nahm aber auch die Kritik in der katholischen Kirche zu. Der Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Gebhard Fürst, sagte, es sei "nicht nachvollziehbar".
<strong>Köln. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner nimmt trotz heftiger Kritik seine Äußerung, Kultur ohne Gottesbezug sei "entartet", nicht zurück. Eine Sprecherin des Erzbistums sagte am Montag, Meisner habe sich nach der Welle der Empörung nicht weiter von seiner Dienstreise in Rumänien aus zu dem Thema geäußert. Es bleibe bei den Worten aus seiner Predigt - "unabhängig von dem Hagel der Kritik". Der Erzbischof hatte gesagt: "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet." Ein Sprecher des Erzbistums erklärte, gemeint sei die gesamte Gesellschaft, die in einem "entgöttlichten Zusammenleben" degeneriere. "Wenn der Kardinal geahnt hätte, was er mit dem Wort ’entartet’ auslöst, hätte er ein anderes genutzt - zum Beispiel ’verkommt’". Unterdessen nahm aber auch die Kritik in der katholischen Kirche zu. Der Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Gebhard Fürst, sagte, es sei "nicht nachvollziehbar" bei der Frage nach Nähe oder Distanz zwischen Kunst und Religion den Begriff "entartet" zu verwenden. Man könne es Kunstschaffenden nicht verdenken, wenn sie sich dadurch diffamiert fühlen, sagte der Rottenburger Bischof. "Diese durch die Nationalsozialisten geprägte Begrifflichkeit beschwört den Horizont schlimmer Exzesse der Barbarei und fürchterlicher Schicksale von Künstlern und Schriftstellern herauf." Der kulturpolitische Sprecher des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Stern, äußerte Mitleid mit Meisner. Der 73-jährige Kardinal sei "ein schlichter alter Mann", der sich über die Folgen seiner Erklärungen nicht im Klaren sei.
Dem Kardinal mangelt es an Anstand
Kommentar von Eberhard Fehre
Natürlich ist Kardinal Meisner kein Nazi, obwohl sein schon merkwürdiger Hang zur Provokation ihn gelegentlich und wohl nicht zufällig in gefährliche Nähe zum braunen Jargon führt. Und selbstverständlich hat der Kirchenmann auch das Recht, Umstrittenes bis hin zum Unfug zu äußern - unsere Politiker tun das schließlich auch. Bedenklich aber wird dies, wenn es zum Markenzeichen zu werden droht. Wenn Meisner die Stammzellforscher an der Uni Köln als "Kannibalen vom Rhein" beschimpft, Abtreibung als "Holocaust" bezeichnet oder den Begriff "entartet" für angemessen hält - dann arbeitet der Kardinal erfolgreich an seinem Image als Provokateur.
Doch die wohlfeile Erregung über die skandalöse Wortwahl des Kardinals sollte nicht vergessen lassen, dass auch in der Sache Meisners Anmaßung eine Antwort verdient. Kunst ohne Gott, so sein Urteil, sei "entartet" oder "verkommen". Es gab und gibt große Kunst, die von der Religion inspiriert ist, man denke nur an Bach. Es gab und gibt ebenso große Kunst, die von der Ausein-andersetzung mit der Religion lebt. Man denke nur an die klassische griechische Tragödie, die die Anmaßung der Götter in Frage stellt. Denn auch und gerade das ist Thema der Kunst: Ob ein Gott oder Götze, in welchem Gewand auch immer, oder nicht doch der Mensch Maßstab aller Dinge ist.
Vieles, wenn nicht alles, was wir heute als abendländisches Erbe zu den universellen Werten rechnen, verdankt sich dem Konflikt mit der Kirche. Was gewiss nicht immer ein einseitiger Prozess war. In Renaissance und Aufklärung hat auch die Kirche ihren Part gespielt. Aber die Scheiterhaufen der Inquisition dienten wohl kaum der Erleuchtung. Und dass die Kirche heute das fünfte Gebot einhalten muss, ist auch nicht ihr Verdienst. Ist es unangemessen, den Kardinal daran zu erinnern?
Selbst diejenigen, die der Kirche nicht besonders nahestehen, verhalten sich in den Räumen des Sakralen mit Anstand und Respekt. Dass dies der Kardinal in den Gefilden der Wissenschaft und der Kunst, in die es den Kölner immer wieder zieht, ebenso hielte, wird wohl niemand sagen können. Und das - dieser Mangel an Anstand und Respekt - ist wohl das eigentlich Schlimme an Joachim Meisner. Und nicht die verunglückte Wortwahl in dem einen oder anderen Fall.