Pflege: Lebenshilfe im Minutentakt
Manchmal fließen Freudentränen – ein Tag im Leben einer ambulanten Krankenpflegerin.
Wuppertal. Zum Aufwachen streichelt Louisa Stranzky dem grauhaarigen Mann über die Wange. "Morgen, Herr Feldmann. Geht’s gut?" "Gut, gut", antwortet der 68-Jährige und reckt den linken Zeigefinger in die Höhe. Herr Feldmann* kann kaum sprechen, seine rechte Körperhälfte ist gelähmt. Kurz vor der Rente erlitt er einen Schlaganfall. Seitdem sind er und seine Frau auf eine Pflegekraft angewiesen, die ihn morgens wäscht, rasiert, den Urinbeutel leert, ihn in den Rollstuhl hebt - und abends wieder ins Bett bringt.
Die 23-Jährige arbeitet seit drei Jahren beim ambulanten Pflegedienst Werbeck in Wuppertal. Seit sechs Uhr ist sie heute unterwegs, gegen acht steht sie in Herrn Feldmanns Schlafzimmer und wäscht ihn mit einem Waschlappen. "Danach reibe ich ihren Rücken wieder mit Franzbranntwein ein. Richtig?" Der Mann rollt mit den Augen. "Gut, gut."
Die gelernte Krankenschwester arbeitet schnell und präzise. Windel wechseln, Handtücher in die Wäsche bringen und eincremen. Die Situation ist nicht peinlich, sie ist nicht entwürdigend. Es ist ein professioneller Ablauf, bei dem jeder Handgriff sitzt. 40 Minuten veranschlagt der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) für die so genannte Grundversorgung. Der MDK entscheidet darüber, welche Leistungen die Krankenkasse zahlt. Und er legt fest, wie viel Zeit die Pfleger für einzelne Behandlungen abrechnen dürfen. Eine Insulinspritze setzen darf sieben Minuten dauern, eine Medikamentenabgabe zehn Minuten, ein Bad 30 Minuten. Auch heute hat Stranzky einen minutengenauen Zeitplan dabei. "In der Re gel reicht die Zeit aus, da kann man auch schon mal ein Schwätzchen halten", sagt sie auf dem Weg zum nächsten Patienten.
Erika Bach ist 75 Jahre alt. Weil sie mit ihren Tabletten schon mal durcheinander kommt, bringt ihr der Pflegedienst täglich ihre Medikamente vorbei. Heute sitzt die klein gewachsene Frau im rosa Strickpullover am Küchentisch und kämpft mit den Tränen. "Ich habe Sie so in mein Herz geschlossen." Louisa Stranzky drückt ihr die Hand. "Aber da brauchen Sie doch nicht weinen. Das ist doch schön."
Freuen sich alle Patienten so auf ihren Besuch? "Wer mit seinem Schicksal hadert, wälzt das auch schon mal auf uns ab", sagt die Pflegerin. Es geht aber auch anders: Eine Patientin ist für sie, die ohne Großeltern aufwuchs, schon fast ein Oma-Ersatz. "Sie war eine der ersten, der ich von meiner Verlobung erzählt habe. Wenn sie mal stirbt, wird das richtig schwierig für mich."
Wie weit häusliche Pflege gehen kann, wird beim nächsten Patienten deutlich. Deniz Ezmer liegt im Wachkoma. Seit einem Autounfall vor etwa eineinhalb Jahren, bei dem zwei seiner Söhne getötet, der dritte Sohn gelähmt und seine Frau schwer verletzt wurden, befindet sich der Mann in einem Dämmerzustand. Seine Augen sind geöffnet, seine Hände und Arme fest an den Körper gepresst. Schnell wird klar: Jemanden anzuziehen, der sich nicht bewegen kann, ist harte körperliche Arbeit. "Heute Abend weiß ich, was ich getan habe", sagt die Pflegerin.
Louisa Stranzky versorgt an diesem Tag neun Patienten in sieben Stunden. Manche hat sie zweimal besucht. Viel Zeit hat sie im Auto verbracht. Sie sagt, dass sie sich keinen anderen Beruf vorstellen kann - trotz Wechselschichten, Wochenenddienst und drohenden Rückenproblemen. Ob sie auch ihre eigenen Eltern pflegen könnte, weiß sie nicht. "Das wäre etwas Anderes. Aber versuchen würde ich es."
Einrichtungen In Nordrhein-Westfalen gibt es etwa 2000 Pflegedienste. Von den Diensten sind etwa 1200 in privater, 840 in freier und 17 in öffentlicher Trägerschaft.
Pflegebedürftige Derzeit gelten in NRW rund 460 000 Menschen als pflegebedürftig. Experten rechnen mit einem Anstieg auf mehr als 650 000 bis 2020. Im Jahr 2050 wird die Zahl bei voraussichtlich knapp einer Million liegen. Dann werden mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen 80 Jahre und älter sein. Quelle: NRW-Gesundheitsministerium.