Untersuchungsausschuss in NRW Ralf Jäger: Abschiebehaft für Amri war unmöglich
NRW-Innenminister widerspricht Aussagen von Thomas de Maizière: Passersatzpapiere aus Tunesien brauchten bis zu 14 Monate.
Düsseldorf. Der Ton wurde schärfer Mittwochnachmittag im Landtag. Nach mehreren Sondersitzungen des Innenausschusses zum Fall Anis Amri musste sich NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) erneut den kritischen Fragen der Opposition stellen — diesmal im Untersuchungsausschuss und zu deutlich vorgerückter Stunde. Der seit nunmehr drei Monaten anhaltende hohe Druck war dabei zu spüren.
Dabei ist der Fall aus Jägers Sicht sonnenklar: Aus NRW wurde strafrechtlich alles Mögliche unternommen — die Einstufung als Gefährder und die Anregung von Ermittlungen wegen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat beim Generalbundesanwalt. Zudem habe das LKA aber in der Sicherheitskonferenz (Siko) NRW auf die Gefährlichkeit des Tunesiers hingewiesen, um über ausländerrechtliche Schritte zu beraten. Dabei geht es im Ausschuss seit der vergangenen Woche immer wieder um ein Schreiben aus dem Landeskriminalamt von März 2016 für die Siko, in dem ein Anschlag durch Amri als wahrscheinlich bezeichnet wird.
Jäger dazu: „Selbstverständlich ist das Schreiben in der Sicherheitskonferenz beraten worden.“ Ebenso wie die Frage, ob eine Abschiebungsanordnung angestrebt werden solle — was aber wegen geringer Erfolgsaussicht verworfen wurde. In dieser Frage hatte sich bereits der erste Zeuge des Tages, Burkhard Schnieder aus der für Flüchtlinge zuständigen Abteilung des Ministeriums, vor Jäger gestellt: Er habe diese Entscheidung „nicht weitertransportiert“ an den Innenminister oder den Staatssekretär.
Ohnehin hätte eine solche Anordnung zur Ausweisung nach Jägers Sicht nichts geändert. Denn nicht nur über die Haftfrage ist er mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) uneinig. Auch über die Beurteilung der Zusammenarbeit mit Tunesien bei der Rücknahme von Staatsbürgern. De Maizière hatte am Vortag ausgesagt, diese habe sich seit Frühjahr 2016 verbessert. Hingegen erklärt der NRW-Innenminister: „Die Rechtspraxis war unverändert.“ Noch immer wartete man auf die für eine Ausweisung notwendigen Passersatzpapiere sechs bis 14 Monate — somit wäre man Amri auch mit einer Abschiebungsanordnung nicht losgeworden. Und die Drei-Monats-Frist für eine Abschiebehaft wäre nicht einzuhalten gewesen.
Als Zeuge geladen war am Mittwoch auch NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier, der für die Zukunft Veränderungen bei der Bewertung von Gefährdern forderte: „Wir müssen methodisch besser werden.“ Er beschrieb aber auch die Schwierigkeiten, vor denen die Sicherheitsbehörden stehen: 10 000 Salafisten gebe es in Deutschland, jedes Jahr kämen 1000 hinzu. „Das Grundrauschen hat sich erhöht.“ 2900 gebe es in NRW, davon seien 680 als gewaltbereit eingestuft, wiederum 224 von ihnen als Gefährder. Allein um die zwei Dutzend Wichtigsten von ihnen rund um die Uhr zu überwachen, bräuchte man pro Tag mehr als 3000 Beamte. Freier betonte auf Nachfrage noch einmal, dass Anis Amri keine Vertrauensperson des Verfassungsschutzes war. „Wir sprechen keine Gefährder an“, erklärte er. „Solche Personen sind tabu.“