Urteil Reker-Prozess: „Es war ein gezielt wuchtiger Stich“
Wegen Mordversuchs verurteilt das Oberlandesgericht Düsseldorf den Attentäter von Henriette Reker zu 14 Jahren Freiheitsstrafe.
Düsseldorf. Als Frank S. im Gerichtssaal Platz nimmt, um sein Urteil entgegenzunehmen, da sitzen gleich sechs Beamte um ihn herum, einer mit dem Stuhl ihm zugewandt. Auch zwischen Frank S. und seinen Verteidiger, den der Angeklagte kürzlich als „Totalausfall“ und „besten Freund des Staatsanwalts“ bezeichnet hatte, hat man einen Sicherheitsmann postiert. Man rechnet also mit allem Möglichen an diesem Tag, als das Urteil verkündet wird — gegen den 45-Jährigen, der Henriette Reker einen Tag vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin durch einen Messerstich in den Hals lebensgefährlich verletzt hatte. Doch ruhig, mit verschränkten Armen, manchmal mit missmutigem Kopfschütteln, hört Frank S. sich die 90-minütige Urteilsbegründung an, an deren Anfang das Strafmaß steht: 14 Jahre muss er hinter Gitter. Das Oberlandesgericht Düsseldorf spricht ihn schuldig wegen Mordversuchs an Henriette Reker. Und wegen gefährlicher Körperverletzung in weiteren Fällen.
Bei dem Angriff am 17. Oktober vergangenen Jahres hatte Frank S. auch noch vier weitere Menschen zum Teil schwer verletzt. Reker war bei der Attacke nur knapp dem Tod entgangen.
Bevor sie zur eigentlichen Urteilsbegründung kommt, sieht Richterin Barbara Havliza Anlass für eine Vorbemerkung. Dass der Fall vor dem Staatsschutzsenat verhandelt wurde, bedeute keinesfalls, dass es sich um einen politischen Prozess gehandelt habe. Die Politik habe hier keinerlei Einfluss genommen. Mit Politik habe das Ganze nur insofern etwas zu tun, als der Angeklagte politische Motive reklamiert habe. Und dass er durch seinen Angriff auf die Oberbürgermeisterkandidatin Einfluss nehmen wollte auf den Prozess der demokratischen Willensbildung und auf die Flüchtlingspolitik.
Dass es ein Mordversuch war, begründet die Richterin damit, dass hier das Mordmerkmal der Heimtücke — das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers — vorgelegen habe. Frank S. habe die Oberbürgermeisterkandidatin am Wahlkampfstand freundlich angesprochen und um eine Rose gebeten, um sie abzulenken. Und ihr dann einen „gezielt wuchtigen Stich in den Hals“ versetzt. Nur glücklichen Umständen sei zu verdanken, dass Reker dabei nicht zu Tode kam. Hätte das Rambo-Messer mit der Klingenlänge von 30 Zentimetern nur wenige Millimeter daneben die Halsarterie getroffen, so wäre das Opfer verblutet.
Der Angeklagte habe sehr wohl Rekers Tod gewollt, sagt die Richterin. Frank S. hatte argumentiert, er habe Reker nicht töten wollen. „Hätte ich das gewollt, dann hätte ich das doch mit weiteren Messerstichen getan.“
Das nahm ihm das Gericht nicht ab. Reker sei nach dem Stich zu Boden gegangen und wie tot liegen geblieben. Auch habe Frank S. direkt nach der Tat gegenüber Zeugen gesagt, er habe Reker töten wollen, um ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik zu setzen.
Hinsichtlich der Schuldfähigkeit folgte das Gericht dem psychiatrischen Gutachter. Norbert Leygraf hatte Frank S. trotz dessen „paranoid-narzisstischer Persönlichkeitsstörung“ als voll schuldfähig bezeichnet.
Die Qualifizierung der Tat als versuchter Mord hätte auch die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe möglich gemacht, wie dies die Anklage gefordert hatte. Richterin Havliza betonte, dass sich das Gericht die Entscheidung dieser Frage nicht leicht gemacht habe. Man sei in einer ausführlichen Abwägung dazu gelangt, eine zeitige Freiheitsstrafe zu verhängen. Dabei sei zwar zu Lasten des Angeklagten die Gefährlichkeit seines Vorgehens und seine kriminelle Energie ins Gewicht gefallen. Zu seinen Gunsten habe aber gesprochen, dass er den Tatablauf als solchen einräumte. Und auch die Mitursächlichkeit seiner Persönlichkeitsstörung und die soziale Isolation, in der er sich in den Jahren vor der Tat befand, habe bei der Abwägung eine Rolle gespielt.
Entscheidet sich ein Gericht bei einem Mordversuch gegen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so bewegt sich der mögliche Strafrahmen zwischen drei und 15 Jahren. Für die Tat gegen Henriette Reker verhängte das Gericht zwölf Jahre und bildete sodann mit dieser und den Strafen für die weiter begangenen gefährlichen Körperverletzungen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren.
Bevor er den Saal verlässt, hat Frank S. dann doch noch mal eine Art letztes Wort. Er werde durch die Revision gehen, sagt er — diesmal „mit einem richtigen Anwalt“.