NRW Richter und das alltägliche Grauen vor Gericht
Richterin Barbara Havliza spricht über die Belastung, die Terroristenprozesse ihr und den Kollegen immer wieder abverlangen.
Düsseldorf. Verwackelte Filmsequenz einer Handykamera: ein Mann geht an weitflächig verstreuten Leichen vorbei, tritt mit dem Fuß gegen Körper, gegen Köpfe. Stimmen sind zu hören, die die Toten als „Dreck“ bezeichnen. „Dreck“, so erklärt Barbara Havliza, nennen die Leute vom Islamischen Staat ihre Feinde, die in ihren Augen Ungläubigen.
„Das Grauen bleibt niemandem in der Robe hängen“
Barbara Havliza (58) ist Vorsitzende Richterin am 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Zuständig für Staatsschutzsachen. Heute sitzt sie einmal nicht erhöht auf der Richterbank im Hochsicherheitsgebäude des Gerichts am Rande des ländlichen Stadtteils Hamm. Und da, wo sonst die Angeklagten und ihre Verteidiger in Terroristenprozessen sitzen, haben nun Journalisten zum Pressegespräch die Plätze eingenommen. Richterin Havliza will mit dem Film, den sie da im Gerichtssaal einspielen lässt, Einblick in ihre Arbeit geben, die sie und ihre Kollegen da tun. Sie muss sie sich nämlich sehr oft ansehen, solche Filme.
Und das, was sie da zeigt sei noch eine der harmloseren Varianten. „Da gehen Sie nicht nach Hause und haben das vergessen“, sagt die Richterin. „Das kann man nicht vergessen, wenn lebendigen Leuten die Köpfe abgeschnitten werden.“ Aber sie und ihre 21 Richterkollegen der drei Staatsschutzsenate haben keine Wahl. Sie müssen sich das antun. So brutal und abstoßend es auch ist. Immer wieder.
Um das Geschehene zu beurteilen und die Gefährlichkeit der Vereinigung festzustellen, für die die vor ihnen sitzenden Angeklagten aktiv wurden. Und natürlich, um ihre Beteiligung an den Gräueltaten zu klären. „Die Richter-Kollegen, die diese Arbeit machen, machen das mit Leib und Seele“, versichert Havliza. „Das müssen sie auch, denn wenn sie es nicht tun, bekommen sie physische und psychische Probleme. Das Grauen, mit dem wir uns hier unmittelbar auseinandersetzen müssen, bleibt niemandem in der Robe hängen.“
Sie erzählt, dass diese richterliche Arbeit mit erheblichen persönlichen Einschränkungen verbunden sei, mit unterschiedlichen Bedrohungslagen. Und sie bedankt sich bei der Polizei und auch bei der Landesregierung, dass die Richter gut geschützt würden. Unbürokratisch verlaufe es zum Beispiel, wenn der private Wohnsitz umgebaut und gesichert werde. „Dafür sind wir dankbar, sagt die für ihre souveräne Verhandlungsführung bekannte Juristin, „wir sagen aber auch, so’n bisschen haben wir es verdient.“
Havliza spricht von Bedrohungen im Darknet, denen sich manch ein Kollege ausgesetzt sieht. „Wenn wir als Richter unser Gesicht in die Kamera halten, werden wir zum Feindbild.“ Die Juristin erzählt, dass es zunehmend Probleme gebe, neue Kollegen zu finden, die die Aufgabe übernehmen wollen. Das könne sie diesen nicht verübeln. Wenn etwa Familienväter oder -mütter von ihren Eherpartnern zweifelnd gefragt werden: „Das willst du wirklich machen?
NRW-Justizminister Thomas Kutschaty bedankt sich bei der Pressekonferenz im hochgesicherten Gerichtssaal mehrfach bei Havliza und ihren Kollegen. Er spricht anerkennend von dem hohen persönlichen Einsatz der Richter. Dieser zeige gerade am Oberlandesgericht Düsseldorf, dass die Justiz im Kampf gegen den Terror keineswegs machtlos ist. Was in den Staatsschutzverfahren ans Licht komme, fließe ein in die Ermittlungsverfahren der Bundesanwälte und habe damit eine große Bedeutung weit über Nordrhein-Westfalen hinaus.
Manch ein Angeklagter ist über sich selbst entsetzt
Das Geschäft ist mühselig, sagt Richterin Havliza. „Das Gros der Angeklagten spricht nicht mit uns.“ Dann müssen Strukturen und Einzelverantwortlichkeit in langwierigen Prozessen geklärt werden. Doch es gebe durchaus Rückkehrer, die berichten „von dem Grauen, das sie erlebt haben. Wie menschenverachtend unter dem Deckmantel der Religion vorgegangen wird.“ Einige schildern das Erlebte, können sich im Gegenzug Straferleichterung einhandeln.
Havliza weiß, dass manch ein Verurteilter die Sache nicht ernst nimmt und „eine Gefängnisstrafe eher als eine Prüfung Allahs“ sehe. Doch umso wichtiger seien im Strafvollzug Programme zur Deradikalisierung. „Dafür interessieren sich Angeklagte durchaus, weil sie — auch für mich glaubhaft — über sich selbst so entsetzt sind.“ Gerade dann dürfe man diejenigen, die im Strafvollzug doch wieder für Beeinflussung anfällig sein könnten, nicht allein lassen.
Ein entsprechendes Versprechen gibt Justizminister Kutschaty. So sollen in diesem Jahr Pädagogen, Sozialarbeiter, Sicherheitspersonal, Wissenschaftler und Dolmetscher auf insgesamt 79 zusätzlichen Planstellen für Deradikalisierung im Strafvollzug sorgen. Außerdem werde ein „Kompetenzzentrum Justiz und Islam“ als Anlaufstelle für Beratung und Unterstützung aufgebaut.