Aschermittwoch der NRW-Grünen Selbstbewusste Gutmenschen und Körnerfresser

Köln. „Geschlossene Gesellschaft“ steht an der Eingangstür. Aber drinnen im angemieteten Ehrenfelder Szenetreff „Herbrand’s“ verteidigen die NRW-Grünen ihre Vorstellungen einer offenen Gesellschaft.

Bei der politischen Aschermittwochs-Veranstaltung der Grünen halten Landesvorsitzende Mona Neubaur, Schulministerin Sylvia Löhrmann, die Kölner Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, Cem Özdemir und der NRW Landesvorsitzende Sven Lehmann (v.l.) Solidaritätsplakate für Deniz Yücel in der Hand.

Foto: Oliver Berg

Die Umfragewerte sind schlecht, die Anfeindungen groß. „Wo gehetzt wird, sind die Grünen immer auf der anderen Seite der Baracke“, ruft Parteichef und Bundestags-Spitzenkandidat Cem Özdemir in den Saal. Und dreht die gängigen Klischees über seine Partei flugs ins Positive: „Für uns ist es keine Beleidigung, als Gutmenschen bezeichnet zu werden.“

Dann folgt noch das Bekenntnis: „Ich bin ein leidenschaftlicher Körnerfresser“ — und schließlich der Kalauer: „Die einen leben in Dunkeldeutschland. Unser Zuhause ist Dinkeldeutschland.“ Politischer Aschermittwoch eben. Da wird in Köln auch schon mal weitergeschunkelt. Unterhaken zur Selbstvergewisserung. Und die Rollenverteilung ist klar: Özdemir übernimmt den derberen Part, die NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann, der die Zuspitzung auch im politischen Alltagsgeschäft eher Unbehagen bereitet, verlässt das sichere Terrain der seriösen Wahlkampfrede lieber nicht. Einig sind aber beide mit den NRW-Vorsitzenden Mona Neubaur und Sven Lehmann, dass der in der Türkei inhaftierte deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel umgehend freigelassen werden muss: Mit entsprechenden Handplakaten und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker in der Mitte stellen sie sich gleich zu Beginn den Fotografen.

Löhrmann setzt auf „frische Luft“. Ehe man ihr eine rhetorische Luftnummer vorhalten könnte, füllt sie den Begriff mit Inhalt. Er stehe für alles, was den Grünen wichtig sei: Klima- und Umweltschutz, abgasfreie Mobilität, aber im übertragenen Sinn auch eine freie, solidarische Gesellschaft. Und sie bekräftigt: „Ohne Pressefreiheit gibt es keine Freiheit.“ Das gilt nicht nur der Türkei, das gilt auch dem US-Präsidenten Donald Trump und seiner zur Schau gestellten Presseverachtung. Apropos Verachtung: Dem CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet hält sie entgegen: „Wer alles schlechtredet, ist genauso unglaubwürdig wie die, die alles schönreden.“

Zum wiederholten Mal wehrt Löhrmann sich gegen Schwarz-Weiß-Denken in der politischen Debatte, besonders bei der inneren Sicherheit. Die Botschaft ist klar: die Grünen als die Partei, die nicht reflexartig Nein sagt, aber auch nicht blindlings und unreflektiert alles mitmacht. Und als notwendiger Partner an der Seite der Sozialdemokratie: „Die SPD braucht einen Treiber, um die Umwelt und den Klimaschutz auf dem Schirm zu haben.“ Für Löhrmann ist klar:

Die Grünen werden an der Seite der SPD weiterregieren, wenn sich die Gelegenheit bietet. „Alle anderen Koalitionsfragen stellen sich nur, dann, wenn es dafür keine Mehrheit gibt.“ Özdemir geht nicht so sanft mit der SPD um. Der neue Held Martin Schulz ist für ihn ein „Bilderbuch-Sozialdemokrat“. „Aber dieses Bilderbuch ist altbacken.“ Und Schulz‘ Floskel von den „hart arbeitenden Menschen“ kontert er mit der Forderung: „Es braucht auch eine Lobby für die Langzeitarbeitslosen, die Alleinerziehenden und Kinderreichen.“ Kleine Reminiszenz des selbsternannten anatolischen Schwaben an die heimische Autoindustrie: Der Verbrennungsmotor habe große Verdienste erworben. Jetzt aber sei er auf dem Weg ins Museum.

Die Umsteuerung in Richtung Elektromobilität sei gerade jetzt wichtig, um China nicht hinterherzulaufen. „Wir wollen nicht, dass Wolfsburg, Ingolstadt und Stuttgart das Detroit von Deutschland werden.“ Die Grünen als Streiter für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Autoindustrie und nicht als deren Totengräber. Und Platz für einen Kalauer ist immer noch: „Make Germany green again.“

Aber in Sachen Türkei hört bei Özdemir der Spaß auf. Mit Blick auf das dort bevorstehende Verfassungsreferendum appelliert er an die in Deutschland lebenden stimmberechtigten Türken: „Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit und Demokratie, die ihr hier in Deutschland genießt.“ Da wird er sogar staatstragend: „Nichts steht über unserem Grundgesetz.“ Präsident Erdogan könne gerne kommen und reden, wenn — ja, wenn die inhaftierten Oppositionspolitiker und 150 Journalisten freigelassen würden. „Und die reden hier dann auch.“