Tatort Schule: Keine Gnade für Straftäter
Kriminalität: Lehrer müssen in Zukunft alle Straftaten von Schülern bei der Polizei anzeigen. Der Philologen-Verband übt scharfe Kritik: Wir sind keine Hilfssheriffs.
Düsseldorf. Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt im Kampf gegen die Jugendkriminalität auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Schule und Polizei: Mit einem Erlass verpflichtet sie die 6300 Schulen im Land, ab sofort Straftaten von Schülern bei der Polizei anzuzeigen. Im Gegenzug informiert die Polizei die Schulen über kriminelles Verhalten ihrer Schüler außerhalb von Klassenzimmer und Schulhof.
Mit der bundesweit einmaligen Strategie werde deutlich, dass "wir Straftaten nicht dulden", betonte NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) gestern. "Klare Regeln für Schule und Polizei bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität sorgen für eindeutige Verantwortlichkeiten und schaffen Rechtssicherheit für die Lehrer."
Die Anzeigepflicht gilt nach Angaben des Landesinnenministeriums auch bei strafunmündigen Kindern unter 14 Jahren. Da sie nicht bestraft werden können, soll hier das Jugendamt präventiv tätig werden, beispielsweise durch Gespräche mit den Eltern. Bislang hatten die Lehrer und Schulleitungen keinen Strafverfolgungszwang, viele Delikte seien aus falscher Rücksichtnahme nicht angezeigt worden.
Eine weitere Folge: Über die Kriminalität an Schulen gibt es bislang keine zuverlässigen Zahlen. Auch dies soll sich nun ändern - ab kommendem Jahr wird der "Tatort Schule" statistisch erfasst, die ersten Zahlen sollen 2009 veröffentlicht werden. Die Aufhellung des Dunkelfeldes ermögliche die Bewertung, welche Schule ein ernsthaftes Kriminalitätsproblem habe, sagte Wolf.
Hintergrund des Erlasses ist eine laut Innenministerium "Besorgnis erregende" Entwicklung bei der Jugendkriminalität in Nordrhein-Westfalen. Die Gewaltkriminalität sei bei Jugendlichen auf dem Vormarsch, sagte ein Sprecher der Behörde. Sie begingen 2006 laut Kriminalstatistik jede zweite gefährliche oder schwere Körperverletzung - oft im betrunkenen Zustand.
Auch die Zahl der minderjährigen Tatverdächtigen bei Raubdelikten ist mit rund 58 Prozent hoch. Raubüberfälle auf offener Straßen seien zu drei Viertel von dieser Altersgruppe verübt worden. Dabei geht es in der Regel um das so genannten Abziehen, bei dem Jugendliche Gleichaltrigen oder Jüngeren Handys, Geld oder MP3-Player rauben.
Schulen, Polizei und Staatsanwaltschaften sollen in Zukunft auch feste Ansprechpartner für das Thema Jugendkriminalität benennen, die sich regelmäßig treffen, um über den Stand ihrer Zusammenarbeit zu beraten.
Niemand wird widersprechen wollen, dass Jugendkriminalität bekämpft werden muss. Doch bei den Mitteln sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Ist es wirklich ratsam, jede Sachbeschädigung polizeilich zu verfolgen? Sollen Lehrer auf der Straße die Mofa-Rowdys notieren? Schüler werden so allzu schnell kriminalisiert. Bislang können die Lehrkräfte ganz gut selbst entscheiden, wann sie den Rechtsstaat zur Hilfe holen. Die Regierung sollte über die Selbstständige Schule nicht nur reden, sondern sie auch machen lassen.