Tausende Totenscheine sind falsch
Jeder zweite Mord bleibt wegen Obduktionsfehlern ungesühnt. NRW fordert strikte Regeln für Leichenschauen.
Düsseldorf. Die Hälfte aller Morde bleibt in Deutschland unentdeckt, weil es an professionellen Leichenschauen fehlt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Münster.
NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) unternimmt deshalb heute einen Vorstoß auf der Justizministerkonferenz, Leichenschauen neu zu regeln: "Ich kann nicht hinnehmen, dass es Tötungsverbrechen gibt, die ungesühnt bleiben, weil sie aufgrund eines falsch ausgestellten Totenscheins gar nicht erst bekannt werden." Nach Zahlen der Universität Münster kommt es jährlich zu "mindestens 11 000 übersehenen, nicht natürlichen Todesfällen, davon sind mindestens 1200 nicht erkannte Tötungsdelikte". Bei der Quote der Leichenschauen sei Deutschland europaweit Schlusslicht.
Nach Vorstellung der NRW-Justizministerin sollen künftig nur niedergelassene Ärzte für Obduktionen zugelassen werden, die über spezielle Qualifikationen verfügen. "Hier könnten rechtsmedizinische Institute Hilfestellung leisten", sagt Müller-Piepenkötter. Leichenschauen sollten bei allen Todesfällen verbindlich werden.
Unterstützung erhält NRW durch die Bundesärztekammer (BÄK). Allein in Kliniken würden 15 Prozent aller Todesursachen fehlerhaft diagnostiziert. "Heute kann jemand Facharzt werden, der noch nie einen Fuß in den Obduktionssaal gesetzt hat", bemängelt ein Sprecher des Verbandes.
Die Ärztekammer beklagt zudem, dass oft auch die Angehörigen und Patienten einer Obduktion ablehnend gegenüberstünden. "Bis zu 40 Prozent der Gestorbenen haben zu Lebzeiten eine Obduktion ausgeschlossen."
Die Deutsche Hospiz-Stiftung kritisiert, in Seniorenheimen blieben tödliche Pflegefehler häufig unentdeckt. Auch Serientäter hätten bereits mehrfach leichtes Spiel gehabt. "Dort werden zu schnell und zu unkritisch Totenscheine mit nichts sagenden Todesursachen ausgestellt", betont der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch.