WZ-Interview: Frau Thoben, warum schießen Sie gegen den Klimaschutz?
Emissionshandel: Die NRW-Ministerin für Energie will, dass die Stromkonzerne weiter gratis CO2 ausstoßen dürfen. Im Dezember entscheidet die EU.
Düsseldorf. Frau Thoben, das Motto der NRW-Standortkampagne, die Sie selbst vorgestellt haben, lautet "We love the New". Gilt das auch für den Energiebereich?
Thoben: Selbstverständlich, deshalb treiben wir ja auch mit großem Ehrgeiz die Erneuerung unseres Kraftwerksparks voran. Das ist auch aus Klimaschutzgründen dringend notwendig. Wichtig ist, dass wir einen breiten Energiemix haben, bei dem der Anteil der erneuerbaren Energien steigt.
Die EU-Kommission möchte die Emissionszertifikate für Energieversorger in Zukunft versteigern. Sie verlangen, dass sie wie bisher kostenlos verteilt werden.
Thoben: Ja, und das richtet sich überhaupt nicht gegen den Klimaschutz. An der Reduzierung der Menge der Zertifikate will ich ja gar nicht rütteln. Aber die damit verbundenen Lasten müssen anders verteilt werden. Wenn ich eine größere Menge der Zertifikate versteigere, dann ist es ökonomisch sinnvoller, alte Kraftwerke länger am Netz zu lassen anstatt in neue zu investieren, weil die Versorger noch nicht wissen, wie teuer der Betrieb eines neuen Kohlekraftwerks wird.
Das wissen sie aber auch nicht, wenn die Zertifikate kostenlos verteilt werden. Denn wenn die Menge sinkt, müssen sie mehr am Markt hinzukaufen. Und dieser Preis wird doch dadurch überhaupt nicht beeinflusst.
Thoben: Das Problem ist ein anderes: Wenn ich zum Beispiel ein modernes Gaskraftwerk betreibe, benötige ich dafür weniger Zertifikate als für ein modernes Braunkohlekraftwerk, da es weniger CO2 ausstößt. Wenn wir aber einen Energiemix wollen, dann müssen wir den Zuteilungsschlüssel vom Energieträger abhängig machen, um Kohlekraftwerke nicht von vornherein schlechter zu stellen. Wenn wir das nicht machen, dann bedeutet das den Ausstieg aus der Kohle und wir müssten die Lücke mit Gaskraftwerken oder Kernkraft schließen. Und das ist auch ökonomisch nicht vernünftig.
In der Vergangenheit hat die kostenlose Verteilung dazu geführt, dass die Versorger die Kosten, die ihnen gar nicht real entstanden sind, eingepreist haben. Auf Kosten der Kunden sind ihnen riesige Gewinne entstanden. Ist das fair?
Thoben: Es ist zwar nicht fair, aber rechtlich in Ordnung. Ich möchte die Energiekonzerne dazu bewegen, dieses Geld zu investieren. Die Konzerne sagen mir, sie könnten 30 Milliarden Euro in die Erneuerung des Kraftwerke-parks stecken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und wir diskutieren im Landtag darüber, ob wir uns verschulden, um ein Mini-Programm zur Konjunkturbelebung aufzulegen? Das ist doch nicht intelligent.
Gesetzt den Fall, Sie setzen sich mit Ihrer Forderung durch. Was machen Sie, wenn die Energiekonzerne die kostenlos erhaltenen Zertifikate wieder auf Kosten der Kunden einpreisen?
Thoben: Es muss erstens gelingen - und daran arbeiten wir auch schon - in naher Zukunft zusätzliche Anbieter an den Markt zu bekommen und Wettbewerb zu erzeugen. Und wir müssen zweitens alle Möglichkeiten ausschöpfen, Energie zu sparen. Nur so können wir Preise beeinflussen.
Sie wollen das Oligopol der vier großen Anbieter am Markt auflösen? Wie soll das gehen?
Thoben: Wir wollen eine dezentrale Energieversorgung aufbauen. Und die idealen Anbieter für so etwas sind die Stadtwerke. Die können sich zum Beispiel zusammenschließen oder auch Investoren ins Boot holen und gemeinsam eigene Kraftwerke mit modernster Technik bauen.
Müssen wir aus Klimaschutzgründen nicht mittelfristig aus der Kohleverstromung heraus?
Thoben: Ich glaube nicht, dass wir das so schnell schaffen. Wir werden noch eine ganze Zeit lang größere Kraftwerke im Grundlastbereich brauchen. Energieerzeugung muss ja auch wirtschaftlich sein, und die Sicherheit der Rohstoffversorgung muss gegeben sein. Beim letzten Punkt hat Gas zum Beispiel Defizite, weil wir vom Import abhängig sind.
Es sind noch weitere Kohlekraftwerke im Bau. Steigt damit nicht noch der Anteil der Kohle?
Thoben: Nein. Wenn neue Kraftwerke ans Netz gehen, müssen alte abgeschaltet werden.
Darauf würden Sie auch beharren, wenn sich Energiekonzerne querlegen?
Thoben: Ja. Denn sonst wäre das nicht vertretbar.
Ihre Forderungen machen die Klimapolitik der Union angreifbar. Die Grünen zum Beispiel bezichtigen die Kanzlerin der Klima-Rhetorik. Sie macht große Ankündigungen und aus NRW wird dagegen geschossen.
Thoben: Das ist ja gar nicht der Fall. Wir schießen nicht gegen die Klimaziele. Wir schlagen lediglich andere Wege vor, um sie zu erreichen. Ob ich die Emissionszertifikate nun kostenlos oder kostenpflichtig verteile, ist egal - an der Reduzierung der Menge wollen wir ja gar nicht rütteln.
Aber die Einnahmen für die Zertifikate fehlen. Die sollen ja zum Beispiel in die Förderung der erneuerbaren Energien fließen.
Thoben: Das ist richtig. Deswegen sage ich: Stoppt den Prozess nicht vollständig, sondern führt die Versteigerung stufenweise ein. Gebt den Unternehmen Zeit zur Anpassung. Und die dann noch fehlende Summe könnten wir problemlos bekommen, indem wir die Kernkraftwerke länger laufen lassen und denen die Gewinne abschöpfen.
Eine sehr unpopuläre Forderung, wie Gorleben gerade gezeigt hat.
Thoben: Ach, so etwas erleben wir ja nicht nur in Gorleben, sondern auch bei der CO-Pipeline oder beim Kraftwerksbau in Uerdingen. Die Frage ist doch: Sind unsere sicherheitsrelevanten rechtlichen Bedingungen ausreichend? Ich habe wirklich nicht den Eindruck, dass bei uns schlampig genehmigt wird.
Gorleben ist nicht als Endlager genehmigt.
Thoben: Herr Gabriel weiß genau, dass es genehmigungsfähig ist. Aber er drückt sich davor, weil das in der Nähe seines Wahlkreises liegt.
Wie groß ist Ihr Optimismus, dass die EU auf die Versteigerung verzichtet?
Thoben: Das hört sich jetzt etwas zynisch an, aber dadurch, dass die Wirtschaftsaussichten schlechter geworden sind, hat die Vernunft wieder eine Chance.