Massenmord am eigenen Volk

Killertrupps machen in Tripolis Jagd auf Kritiker des Regimes — sogar in Krankenhäusern.

Tripolis. In Libyen hat die Gewalt am Freitag ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Milizen und Soldaten feuerten am Abend auf Zehntausende Demonstranten, die in Tripolis zum zentralen Grünen Platz ziehen wollten und den Rücktritt des Diktators Muammar al-Gaddafi (68) forderten. Hubschrauber sollen aus der Luft angegriffen haben. Offenbar wurden wieder Scharfschützen eingesetzt.

Augenzeugen berichteten dem britischen Sender BBC, wie das Regime Menschen daran hindern wollte, sich am Demonstrationszug „Marsch der Millionen“ zu beteiligen: „Als wir aus den Moscheen kamen, begannen sie, auf die Leute zu schießen. Viele meiner Nachbarn starben. Vom Himmel regnete es Kugeln. Sie haben ein Massaker verursacht. Sie schießen aus Krankenwagen auf die Leute. Sie feuern ohne Pause.“

Menschenrechtler berichten von Todesschwadronen, die regelrecht Jagd auf Regimegegner machen. „Sie drangen in die Krankenhäuser von Tripolis ein und ermordeten Verletzte, die zuvor gegen das Regime protestiert hatten“, berichtet der Sprecher der libyschen Menschenrechtsliga, Sliman Bouchuiguir. „Dann nahmen sie die Leichen mit, um sie verschwinden zu lassen.“ Die Ärzte, die versuchten einzuschreiten, seien mit dem Tode bedroht und zum Schweigen gezwungen worden.

„Die Angst der Menschen ist inzwischen so groß, dass sie mit Verletzungen nicht mehr in die Krankenhäuser gehen“, berichten Bewohner aus Tripolis. Ähnliche Informationen kommen auch aus anderen Städten, in denen Killertrupps von Diktator Muammar al-Gaddafi brutal gegen das aufständische Volk vorgingen.

Der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navy Pillay, berichtet: „Straßenzüge wurden abgeriegelt, damit keiner fliehen kann. Dann wurden die Menschen von den Dächern aus beschossen.“ Viele Leichen auf den Straßen seien von den Milizen auf den Ladeflächen ihrer Pickups abtransportiert worden. In anderen Fällen habe man den Familien nur die Leichname aushändigen wollen, „wenn sie eine Erklärung unterschreiben, dass die Opfer von der Opposition erschossen worden sind“.

Ärzte in Tripolis schätzen, dass allein in der Hauptstadt in den vergangenen Tagen rund 1.000 Menschen getötet oder schwer verletzt worden seien. Libyens inzwischen zurückgetretener Vize-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Ibrahim Dabbaschi, beschuldigte Gaddafi, Hunderte von Leichen in der Wüste verschwinden zu lassen. Sie würden per Flugzeug in die Sahara transportiert und dort versteckt, um die Morde zu vertuschen.