Mittelmeer: Flüchtlinge - Abgedrängt und zurückgeschickt

EU-Grenzschützer sollen Afrikaner trotz Notlage zur Rückkehr gezwungen haben. Kritiker beklagen Menschenrechtsverletzungen.

Brüssel. Anfang Mai brachte die italienische Küstenwache vier Flüchtlingsboote im Mittelmeer auf und drängte sie nach Libyen zurück. Den rund 500 Menschen an Bord wurden angeblich Hilfe und Schutz verweigert. Stattdessen seien sie wie Stückgut in die Haftlager einer Diktatur zurückgeschickt worden, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl.

Ein Angestellter der italienischen Küstenwache erinnert sich: "Es waren schwangere Frauen und Kinder an Bord. Wir mussten dem Befehl gehorchen, aber ich schäme mich für das, was wir getan haben. Ich werde es meinen Kindern nie erzählen." Auch vor den Küsten Griechenlands spielten sich zuletzt ähnliche Dramen ab: Menschenrechtsorganisationen berichten übereinstimmend von Patrouillen, die Flüchtlingsboote fortschleppten, ohne festzustellen, ob Kranke, Verletzte oder Opfer von Menschenhandel an Bord sind - ein klarer Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die Operationen werden teilweise von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert, an der sich auch Deutschland mit Bundespolizisten sowie Hubschraubern beteiligt. Doch die EU fühlt sich für Zwangsrückführungen nicht verantwortlich - nach Ansicht von Pro Asyl der nächste Skandal. "Frontex handelt in einer rechtlichen Grauzone", sagt Karl Kopp, Europa-Referent der Organisation. Die EU habe sich eine Agentur mit Unmengen an Konstruktionsfehlern geschaffen.

Tatsächlich hatte die EU Frontex vor rund fünf Jahren ins Leben gerufen, um die Außengrenzen besser vor illegalen Einwanderern zu schützen. Doch bis heute gibt es dabei für die EU-Agentur keine verbindlichen Richtlinien, die Europäische Menschenrechtskonvention und das internationale Flüchtlingsrecht einzuhalten.

In der Kritik stehen Einsätze wie die "Operation Hera": 2008 waren Frontex-Schiffe zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln unterwegs; fast 6000 Menschen wurden dabei auf See "umgeleitet", wie es bei Frontex heißt. Flüchtlinge seien entweder zur Umkehr gedrängt oder zum nächsten Hafen im Senegal oder in Mauretanien eskortiert worden.

Dies ist möglich, weil die Frontex-Verbände auf Grundlage bilateraler Abkommen Spaniens mit Mauretanien und Senegal operieren können. Was nach dieser "Umleitung" in Mauretanien mit den Flüchtlingen geschah, berichtete Amnesty International: Viele wurden festgenommen, misshandelt und in Nachbarländer abgeschoben.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und andere EU-Länder kritisierten dies als mit der geltenden Rechtslage unvereinbar. Doch Organisationen wie Pro Asyl sehen die gesamte EU in der Pflicht: "Wenn sich ein Land nicht an die Regeln hält, darf die EU dort nicht mit Frontex operieren", sagt Karl Kopp. Auch müsse dringend das Mandat der EU-Grenzschutzagentur überarbeitet werden. "Es darf keine menschenrechtsfreien Zonen mehr geben."