Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Mladic gefasst
Belgrad (dpa) - Der wegen tausendfachen Mordes als Kriegsverbrecher gesuchte bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladic ist nach mehr als 15 Jahren auf der Flucht gefasst worden.
„Im Namen der Republik Serbien teile ich mit, dass Ratko Mladic verhaftet wurde“, sagte Serbiens Präsident Boris Tadic am Donnerstag in Belgrad. Jetzt könne Serbien „ein unrühmliches Kapitel seiner jüngeren Geschichte“ abschließen.
Der 68-jährige Mladic wird unter anderem für das Massaker von Srebrenica 1995 mit rund 8000 Toten verantwortlich gemacht. Der auf einem Bauernhof in Serbien gefasste Ex-General werde bald an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt, erklärte Tadic. Am Abend brach ein Untersuchungsrichter in Belgrad die erste Vernehmung des einstigen Militärchefs der bosnischen Serben ab. Grund sei die „körperliche Schwäche“ des 68-Jährigen, sagte sein Anwalt Milos Saljic. Mladic präsentierte sich vor Gericht als kranker Mann. Seine Vernehmung soll am Freitag fortgesetzt werden.
Die jahrelang ausbleibende Festnahme Mladics galt als eines der größten Hindernisse bei den Bemühungen Belgrads um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Entsprechend stellte Tadic klar, dass Belgrad nun als Gegenleistung für die Verhaftung von Mladic einen zügigen EU-Beitritt erwarte. „Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen“, sagte der Präsident.
Die EU und die USA lobten Serbien für die Verhaftung. Die EU forderte aber weitere Reformen vor dem Beginn von Verhandlungen über einen Beitritt des Balkanlandes. „Ein großes Hindernis auf dem Weg Serbiens zur EU ist beseitigt“, sagte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Brüssel. „Heute hat Serbien eine wichtige internationale Verpflichtung erfüllt. Morgen muss mit diesem neuen Schwung die Arbeit an Reformen intensivier werden, damit die Kommission im Herbst eine positive Stellungnahme abgeben kann“, betonte Füle.
„Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne für Serbien und die internationale Justiz“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Rande des G8-Gipfels in Deauville. „Die Verhaftung Mladics ist ein gutes Signal in Richtung der EU und Serbiens Nachbarn.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Festnahme als überfällig und gute Nachricht für ganz Europa. „Mladic hat große Schuld für besonders dunkle und tragische Ereignisse in den Balkankriegen auf sich geladen.“ Außenminister Guido Westerwelle sagte, er denke „heute besonders auch an die Opfer und die Familien der Opfer des Massakers von Srebrenica. Einer ihrer mutmaßlich schlimmsten Peiniger kann jetzt zur Verantwortung gezogen werden.“
US-Präsident Barack Obama sagte in Washington, Mladic müsse zügig vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden. „Auch wenn die Ermordeten dadurch nicht wieder lebendig werden, Mladic wird nun den Opfern und der Welt und dem Gericht Rede und Antwort stehen müssen.“
Mladic wird unter anderem für das Massaker von Srebrenica verantwortlich gemacht. Im Sommer 1995 hatten serbische Soldaten nach der Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica in Bosnien rund 8000 muslimische Männer und Jugendliche ermordet und in Massengräbern verscharrt. Auch die jahrelange Belagerung von Sarajevo und die vielen Toten in der bosnischen Hauptstadt werden Mladic angelastet, ebenso wie „ethnische Säuberungen“ und Gräuel in Internierungslagern.
Der Geheimdienst habe Mladic beim Besuch eines Verwandten in dem Dorf Lazarevo bei Zrenjanin im Norden Serbiens verhaftet, schrieb die Tageszeitung „Blic“. Berichten zufolge leistete der 68-Jährige, der unter falschem Namen lebte, keinen Widerstand.
Anwalt Milan Dilparic sagte in Belgrad, sein Mandant habe sich dem Untersuchungsrichter nicht mitteilen können. Er spreche unzusammenhängend. „Ratko sollte nicht nach Den Haag gebracht werden, weil er sehr krank ist.“ Mladic habe deutlich gemacht, dass er die Rechtmäßigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals, an das er ausgeliefert werden soll, nicht anerkenne. In Sicherheitskreisen hieß es, Mladic habe einen Schlaganfall erlitten, in dessen Folge eine Hand steif geblieben sei.
Der Ex-General war nach Kriegsende 1995 untergetaucht. Zuletzt war in Serbien ein Kopfgeld von 10 Millionen Euro ausgesetzt, die USA hatten zusätzliche 5 Millionen Dollar für seine Ergreifung ausgelobt. Der ehemalige Bosnien-Beauftragte Christian Schwarz-Schilling argwöhnte, Mladic sei die ganzen Jahre von den serbischen Behörden unterstützt worden. „Das wäre ohne ein Netzwerk innerhalb der serbischen Autoritäten nicht möglich gewesen wäre“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Freitag).
„Der Prozess der Auslieferung läuft bereits mit seiner Festnahme“, sagte Präsident Tadic zur baldigen Überstellung des Ex-Generals an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Dort sitzt schon Mladics ehemaliger „Vorgesetzter“, Serbenführer Radovan Karadzic, seit seiner Festnahme 2008 ein. Karadzic hatte jahrelang in Belgrad als Kräuterdoktor und esoterischer Heilpraktiker unter falschem Namen gelebt.
Die Festnahme von Mladic stieß weltweit auf positives Echo. „Die Gerechtigkeit hat gesiegt“, sagte Semir Guzin, Rechtsvertreter der Vereinigung „Mütter von Srebrenica“, in einem Interview des britischen Senders BBC. Ähnlich äußerten sich Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sieht in der Festnahme Mladics einen Meilenstein. „Diese Festnahme ist ein wichtiger Schritt in unserem gemeinsamen Kampf gegen Straflosigkeit politischer Verbrechen und auch für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Ex-Jugoslawien“, sagte Ban in Paris. „Dies ist ein sehr wichtiger Tag für das internationale Recht und den Rechtsstaat“, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bei einem Besuch in Belgrad. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte, die Europäische Union müsse Serbien jetzt eine klare Perspektive geben. „Serbien hat die Bestimmung, in die Europäische Union zu kommen.“
Der UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) warnte vor einer Vorverurteilung Mladics. „Obwohl ihm schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, gilt Mladic, wie alle anderen Angeklagten vor dem Tribunal, als unschuldig bis eine Schuld bewiesen ist“, heißt es in einer Stellungnahme des ICTY.