Rechtsfreie Räume No-Go-Areas: Das raue Leben im Ruhrgebiet

Es gibt keine rechtsfreien Räume in Duisburg, Essen und Gelsenkirchen — sagen Polizeichefs und Stadtoberhaupt. Wohl aber viele Probleme.

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Düsseldorf. Warum vernimmt der Landtags-Untersuchungsausschuss zu den Silvesterexzessen von Köln Polizeipräsidenten und Oberbürgermeister aus anderen NRW-Städten? Die Antwort: Weil es einer der Aufträge des nun schon 59 Mal tagenden Gremiums ist. Die Fragestellung nämlich: Haben wir in Köln oder anderen NRW-Städten rechtsfreie Räume?

Dass es solche „No-Go-Areas“ gebe, lasten CDU und FDP dem ungeliebten Innenminister Ralf Jäger (SPD) an. Am Montag wurden dazu mit Duisburgs Polizeipräsidentin Elke Bartels, ihrem Essener Kollegen Frank Richter und dem Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski drei Akteure vernommen, die nah am Geschehen in den Ruhrgebietsstädten sind. Die ihre Probleme mit libanesischen Clans und südosteuropäischen Parallelgesellschaften haben. Nun war freilich von diesen Amtsträgern nicht das Eingeständnis zu erwarten, dass es Bereiche in ihren Metropolen gebe, in die sich die Behörden nicht hineintrauen. Hätten sie damit doch dokumentiert, ihrer Aufgabe nicht gerecht zu werden. Von einem Schönreden der schwierigen Lebensverhältnisse in ihren Städten sind aber auch sie weit entfernt.

Als erste schildert die Duisburger Polizeipräsidentin Elke Bartels forsch, wie man mit den Folgen des stetigen Zuzugs von Südosteuropäern nach Duisburg — mittlerweile seien es 18 000 — zurechtkomme. Sie erzählt von „streetcorner-societies“, von Zusammenrottungen meist junger Männer, die sich in der Masse stark fühlen. Die die Straße für sich reklamieren. Die sagen, sie brauchten keine Polizei, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Bartels: „Die meinen, uns gegenüber überlegen zu sein, wenn sie Nase an Nase mit den Beamten stehen oder sie bespucken.“ Doch dagegen habe die Polizei eine Null-Toleranz-Strategie mit viel Präsenz auf der Straße und konsequenter Verfolgung von Straftaten gesetzt. Bartels erzählt, wie sie sich geärgert habe, als von „rechtsfreien Räumen“ in Duisburg die Rede gewesen sei. „Wir sind und waren immer das Gewaltmonopol.“ Und sie lobt die Zusammenarbeit mit der Stadt. Alleine könne die Polizei ohnehin nichts machen: „Wenn wir kommen, hat alles andere längst versagt — die Kita, das Elternhaus, die Schule.“ Die Null-Toleranz-Strategie lasse sich aber nur mit Hilfe der zusätzlich zur Verfügung gestellten Einsatzkräfte schaffen. „Wenn unsere Klientel merkt, dass wir weniger werden, dann würde es wieder schlimmer“, sagt sie mit Blick auf die Notwendigkeit ausreichender Einsatzkräfte. „Wir können nur die Lage in den Griff bekommen, bessern können wir diese Leute nicht“, urteilt die Polizeichefin über ihr „Macho-geprägtes Klientel“.

Auf die Frage, ob die Fremdenfeindlichkeit wachse, erzählt Bartels die bemerkenswerte Geschichte, wie türkischstämmige Migranten, die längst ihr Leben in der Stadt aufgebaut haben, auf sie zugekommen seien. Und angesichts der von Südosteuropäern eingenommenen Straßenzüge gebeten hätten: „Können Sie dafür sorgen, dass die Ausländer wieder weggehen?“

Ob es Ortsteile gebe, die von der Polizei als „gefährliche Orte“ im Sinne des Polizeigesetzes angesehen werden, wird die Polizeipräsidentin gefragt. In einem so definierten Raum darf es nämlich verdachtsunabhängige Kontrollen geben. Bartels verneint das und erklärt das mit der stigmatisierenden Wirkung, die es für einen Straßenzug hätte, wenn er zum kriminogenen Ort erklärt würde. „Dann käme ja keiner mehr“, sagt sie mit Blick auf die ansässigen Geschäfte.

Ihr Kollege Frank Richter, Polizeipräsident aus Essen, sieht das anders. Hier gebe es vier in dieser Weise eingestufte Bereiche. Dagegen hätten auch die Anwohner nichts einzuwenden gehabt, zumal man das ja auch nicht in einer Presseerklärung kundtue. Schließlich komme eine verstärkte Polizeipräsenz, die den Beamten mit den erweiterten Befugnissen auch mehr Rechtssicherheit gebe, den Menschen zugute. Die Stadtteile würden dadurch gestärkt, sagt er. Der Essener Polizeichef verwahrt sich aber vehement dagegen, von „No-Go-Areas“ zu sprechen. Mit einem solchen Begriff solle man sprachlich vorsichtig umgehen. Bedeute er doch, dass die Polizei in bestimmte Stadtbezirke nicht geht. Das sei aber ganz und gar nicht der Fall.

Der Begriff der „No-Go-Area“ werde politisch gebraucht. Richter: „Es gibt Menschen, die wollen das Problem nicht versachlicht haben, nach dem Motto: ,Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen.’“ In Essen habe er es mit den größten Libanesen-Clans außerhalb Berlins zu tun: „5000 Libanesen, die sich auf zehn Familien aufteilen.“ Ob er schon mit einem libanesischen Clan-Chef im Dialog gewesen sei, wird er gefragt. Antwort: „Die Lebensläufe der Clan-Chefs sind nicht geeignet, um einen Termin mit dem Polizeipräsidenten zu bekommen.“

Auch Frank Baranowski, der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, sieht keine „No-Go-Area“ in seiner Stadt. Es gebe „keine Räume, in die sich die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes nicht begeben“. Der SPD-Politiker erzählt davon, dass er seinen Parteifreund, Innenminister Ralf Jäger, angeschrieben habe. Mit dem Hinweis, dass er kein Verständnis dafür habe, „dass im Kreis Coesfeld Verkehrssünder geknipst werden, aber in Gelsenkirchen Einsatzkräfte fehlen“. Daraufhin habe es Verstärkung gegeben.

Baranowski betont, dass die Stadt resolut gegen aus baurechtlichen Gründen unbewohnbare Unterkünfte vorgehe und die Häuser versiegele. Dass die Stadt im öffentlichen Raum verschrottete Autos abschleppe. Aber er erzählt auch von den Problemen, die man etwa mit Großfamilien habe, die allein mit dem Kindergeld einen besseren Standard hätten als in ihrer Heimat. Bei denen aber Datenabgleiche ergeben könnten, dass da gar nicht so viel Kinder seien wie es dem kassierten Kindergeld entspreche. Hier bedürfe es mehr Kooperation zwischen Arbeitsagentur und Stadt.

Und er spricht von der üblen Masche, dass im Falle der Zwangsversteigerung von Häusern der Ersteigerer die zehn Prozent Anzahlung leiste — und dann bis zum fälligen Termin der vollständigen Zahlung durch die Vermietung der Schrottimmobilie so viel Geld daraus ziehe, dass er sich mit Gewinn aus dem Staub mache.

Viel Arbeit im Ruhrgebiet — diese Essenz konnten die Landtagspolitiker am Montag mitnehmen. Eindrücke, die nicht direkt etwas mit Silvester 2015 zu tun haben. Wohl aber in künftige Landespolitik einfließen dürften.