Aktuelle Stunde Politiker streiten im Landtag um rechtsfreie Räume in NRW

Landtag debattiert anhand eines Dortmunder Falles über sogenannte No-Go-Areas.

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Düsseldorf. Es dauert etwas mehr als eine halbe Stunde, bis der zuvor heftig attackierte Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) in die Landtagsdebatte um No-Go-Areas (Infokasten) eingreift. Und dann macht er das sogleich so, dass CDU-Politikern der Kamm schwillt und sie ihn erzürnt zu einer Entschuldigung auffordern. Jäger spricht davon, dass „die undifferenzierte Debatte den Eindruck einer faktenfreien No-Brain-Area bei mir hinterlassen hat“.

CDU-Innenpolitiker Daniel Sievecke und CDU-Fraktionschef Chef Armin Laschet empören sich. Laschet: „Einen Tag nach dem Festakt zum 70-jährigen Bestehen des Landtags, in dessen Rahmen die Ministerpräsidentin zu mehr Respekt und Wertschätzung für die Arbeit der Parlamentarier aufgerufen hat, bedient Ralf Jäger Klischees und Ressentiments gegenüber dem Parlamentarismus und bezeichnet den Landtag als ,Kein-Gehirn-Gebiet.’“

Was Jäger zuvor selbst so aufgebracht hat, sind die Angriffe von CDU und FDP und generell die Tatsache, dass die Opposition No-Go-Areas zum Thema einer Aktuellen Stunde gemacht hat. Anlass: Ein Vorfall vom Montag in Dortmund, der sich, so der Antrag der CDU, „in eine Reihe verschiedener Medienberichte der letzten Monate einreihe, die das Entstehen rechtsfreier Räume in Dortmund nahelegen“.

Ein 24-Jähriger hatte Polizeibeamte beleidigt, das hatten rund 100 Personen mitbekommen und sich um die Beamten geschart. Laut Polizei hetzte der Mann die Menge auf. Als die Polizisten ihn in ihr Dienstfahrzeug setzten, habe dessen Frau versucht, ihn zu befreien. Ein Unbekannter habe — unter dem Applaus der Gruppe — eine Flasche auf das Auto geworfen, mehrere Menschen hätten die Straße blockiert. Erst als sich weitere Einsatzwagen näherten, löste sich die Menge auf.

Der CDU-Abgeordnete Gregor Golland zitiert im Landtag Zeitungsschlagzeilen, in denen von No-Go-Areas in Ruhrgebietsstädten die Rede ist. Anstatt Alarmsignale ernst zu nehmen, würden Abgeordnete, die den Finger in die Wunde legen, der Nestbeschmutzung verdächtigt, klagt er. Und dass sie Stadtteile und ganze Städte schlechtreden würden. Golland: „Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wer Realitäten ignoriert und negiert, macht es nur noch viel schlimmer. Rechtsfreie Räume, in denen ausländische Familienclans das staatliche Gewaltmonopol unter sich aufteilen, darf es in NRW nicht geben.“

Marc Lürbke (FDP) setzt noch einen drauf: „Wir sind in NRW immer stärker auf dem Weg zum risikolosen Verbrechen.“ Nicht das Gesetz der Straße dürfe gelten, sondern das Gesetz müsse auf der Straße durchgesetzt werden. „NRW ist in den letzten Jahren brutaler, unsicherer, radikaler geworden.“

Das wiederum bringt Innenminister Jäger in Wallung (siehe Zitat oben), und er stellt klar: Seit 2010, der Regierungsübernahme durch Rot-Grün, seien in NRW die Straftaten gegen das Leben um 18 Prozent zurückgegangen, die Gewaltkriminalität um zehn Prozent und die Jugendkriminalität um 30 Prozent. Es gebe kein Wegschauen der Polizei, sondern diese reagiere mit mehr Präsenz vor Ort und konsequentem Durchgreifen. Gerade in Dortmund zeige die Polizei deutlich mehr Präsenz, auch mit Kräften der Bereitschaftspolizei — mit knapp 5900 zusätzlichen Einsatzstunden. Folge: In Dortmund sei die Straßenkriminalität in diesem Jahr um 40 Prozent zurückgegangen, die Gewaltkriminalität um 20 Prozent. Jäger: „Es gibt in NRW keine Bereiche, die die Polizei meidet, kein Quartier, in dem sie das Gewaltmonopol anderen überlässt.“

Der Dortmunder Fall sei kein Beispiel für ein Scheitern der Sicherheitspolitik, sondern eines für eine Verrohung der Gesellschaft, die auch zunehmend Polizeibeamte und Rettungskräfte betreffe. Die Opposition zeichne ein Zerrbild, und dahinter stecke parteipolitisches Kalkül. Jäger: „Weil Sie ein ganz bestimmtes Klientel ansprechen wollen. Sie wollen diejenigen Menschen gewinnen, die Ängste haben, die Sorgen haben vor der Veränderung.“ Das werde aber letztlich nur dazu führen, dass eine „Mecklenburgisierung dieses Landes stattfindet", sagt er unter Anspielung auf die Wahlerfolge der AfD im Nordosten. Jäger: „Die werden nicht die billige Kopie, sondern die werden immer das Original wählen.“

Die Dortmunder SPD-Abgeordnete Nadja Lüders beklagt, dass durch den Antrag der CDU ein ganzer Stadtteil als hochgradig kriminell, als No-Go-Area, stigmatisiert werde. Dass dabei ausgerechnet ein Fall als Beleg angeführt werde, in dem die Polizei ja da war, sei „ein irrationaler Trugschluss, den können Sie doch keinem mehr erklären.“

Dirk Schatz von den Piraten, selbst Polizeikommissar a. D., zieht sein eigenes Fazit, als er fragt, wie denn eigentlich Angsträume in Stadtteilen entstehen. Dabei gibt er selbst die Antwort in Richtung CDU und FDP: „Unter anderem durch genau solche Anträge, die Sie hier stellen.“