Organspende Eine Gewissensfrage, die Parteigrenzen überwindet
Berlin · Der Bundestag debattierte grundsätzlich über eine Reform der Organspende – Ist kein Nein schon ein Ja?
Es gab keine Fraktionen am Mittwoch in der Debatte über die Organspende. Alle hörten allen geduldig zu, von AfD bis Linke. Im strikt vorgeschriebenen Vierminutentakt.
38 Abgeordnete meldeten sich zu Wort, darunter viele Ärzte. Und wer nicht Mediziner war, schilderte persönliche Schicksale, die er erlebt hatte. Man war sich einig: Das gegenwärtige System funktioniert nicht. Rund 11 000 Patienten warten auf ein Spenderorgan. Dem stehen nur rund 800 Spender gegenüber. Verstorbene also, die einen Organspendenausweis hatten und bei denen die Ärzte dann auch eine Organentnahme veranlassten. Die Folge: Täglich sterben bis zu drei Patienten, weil es an Spenderorganen mangelt. Ein weiterer Fakt: 85 Prozent der Bundesbürger befürworten eine Organspende. Aber nur 39 Prozent haben derzeit einen Ausweis, der im Notfall dann aber oft nicht gefunden wird, weil ein zentrales Register fehlt.
Der Bundestag führte erst einmal nur eine „Orientierungsdebatte“; entschieden werden soll nächsten Sommer. Dazu werden sich Gruppen von Abgeordneten aus verschiedenen Parteien zusammentun und Anträge formulieren. Drei Varianten schälten sich bereits heraus:
Zum einen die „verpflichtende Zustimmungslösung“. Sie bedeutet eine moderate Reform. Bisher bitten die Krankenkassen ihre Mitglieder regelmäßig um das Ausfüllen eines Organspendenausweises und werben dafür. Da das offenbar nicht ausreicht, wollen Parlamentarier um Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Linken-Vorsitzende Katja Kipping und die SPD-Politikerin Kerstin Griese nun einführen, dass jeder Bürger bei der Beantragung oder Verlängerung des Personalausweises oder Passes zwingend angeben muss, wie er zur Organspende steht: Ja, Nein oder Nichtentscheidung. Letzteres würde wie ein Nein wirken. Die Antwort, die jederzeit wieder veränderbar wäre, soll dann in ein Register eingetragen werden. Auf diese Weise könne man die Zahl der Spender wesentlich erhöhen, meinte Baerbock. Die FDP-Abgeordnete Katrin Hellig-Plahr sagte, wenigstens solle man dieses Verfahren zunächst versuchen, ehe man die andere Variante aufrufe.
Das wäre die „Widerspruchslösung“, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in die Debatte gebracht hatte. Sie gilt in 17 europäischen Ländern und besagt, wer nicht zu Lebzeiten aktiv einer Organentnahme widersprochen hat, kommt automatisch als Spender in Frage. Als doppelte Absicherung sollen die Angehörigen nach dem Tod allerdings ebenfalls noch widersprechen können. Für dieses Modell warb auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Widerspruchslösung findet deutlich weniger Anhänger
In der sehr sachlichen Debatte schienen die Befürworter des Widerspruchsmodells allerdings deutlich in der Minderheit. Vielleicht nur, weil sich mehr Gegner meldeten. Es gab viele ethische Bedenken, weil hier „gegen grundsätzliche Prinzipien der Ethik und des Patientenrechts“ verstoßen werde, wie Spahns Vorgänger, Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), sagte. FDP-Vize Wolfgang Kubicki fügte hinzu: „Das deutsche Recht kennt es nicht, dass Schweigen Zustimmung bedeutet.“ Kubicki gehört einer dritten Gruppe an, die es bei der bestehenden Regelung belassen, aber die Werbung verstärken will.
Und Spahn sagte unter Hinweis auf die wartenden Kranken: „Das einzige Recht, dass hier beschnitten wird, ist das Recht, sich keine Gedanken zu machen.“
Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) warnte davor, zu glauben, dass die Widerspruchslösung allein schon der Schlüssel sei. Viel entscheidender sei die Organisation des Transplantationssystems in den Krankenhäusern. Dass es hier in Deutschland große Defizite gibt, war wiederum Konsens. Gesundheitsminister Spahn hat parallel schon einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der versucht, hier etwas Abhilfe zu schaffen.