Papst: „Die Kirche ist wie ein Feldlazarett nach der Schlacht“
Ein erstes großes Interview von Franziskus lässt aufhorchen. Bei katholischen Streitthemen will er andere Wege gehen.
Rom. Die Suite im Gästehaus von Santa Marta beschreibt Antonio Spadaro so: „Einfach, ja karg.“ Der Arbeitsplatz am Schreibtisch sei sehr schlicht. „Es gibt wenige Bücher, wenig Papier, wenige Kunstgegenstände.“ So sieht es aus in Suite Nummer 201. Es ist der Raum, von dem aus der Papst die Weltkirche steuert. Seinen Gast lässt er auf einem bequemen Stuhl Platz nehmen, Franziskus selbst setzt sich auf einen „höheren und härteren Sessel — wegen Rückenproblemen“.
Es ist das erste große Interview des Pontifikats. Insgesamt sechs Stunden hat Spadaro, Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift Civiltà Cattolica, an drei Tagen mit dem Jesuiten Franziskus verbracht. Das Gespräch wurde in 16 Jesuiten-Zeitschriften auf der ganzen Welt veröffentlicht. Der Papst erklärt darin seine bisherigen Äußerungen, die viele Menschen aufhorchen haben lassen, etwa zu Homosexualität und Frauenordination. Erstmals skizziert er ausführlich, wie er sich die Weltkirche unter seiner Führung vorstellt. Er hat eine Kirche vor Augen, die zwar in einigen Fragen an den bisherigen Dogmen festhält, aber sie doch in Ton und Umgang aufzuweichen versucht. Ein Paradox?
„Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht“, sagt der Papst. „Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen.“ Franziskus meint damit, die Kirche müsse integrierend wirken und nicht ausschließend. „Die Kirche hat sich manchmal in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften.“ Der Papst spielt auf dogmatische Probleme an, die viele Gläubige beschäftigen oder zur Abkehr vom Katholizismus bewogen haben. Ist die rigide Haltung der Kirche zur Homosexualität plötzlich nur noch eine „kleine Vorschrift“? Die Worte des Papstes könnten innerkirchliche Spannungen auslösen.
„Ich bin ein Sohn der Kirche“, hält Franziskus fest und ordnet sich so den bestehenden Dogmen unter. Doch für ihn stellt sich auch eine Frage des Umgangs, des Tons, der Papst nennt es „Barmherzigkeit“. „Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden.“ Es klingt, als sei die Vermeidung der Probleme die Lösung. Aber damit wird man den Worten des Papstes nicht gerecht. Es geht ihm um eine neue Offenheit. Franziskus schlägt einen versöhnlichen, offenen Ton an und bewegt sich doch im Rahmen des Dogmas.
Ähnlich denkt er über die Rolle der Frau in der Kirche. Die Frauen stellten „tiefe Fragen, denen wir uns stellen müssen. Die Frau ist für die Kirche unabdingbar“, sagt Franziskus.
Auch auf persönlicher Ebene ist das Interview aufschlussreich. „Ich kenne Rom nicht“, sagt der Papst. Er berichtet über seine Leidenschaft für Literatur, Kunst, Musik. Er bezeichnet sich als „arglos“ und „gewieft“ und gesteht, sogar beim Zahnarzt zu beten. Und dass er über seinen Gebeten zuweilen einschläft.