Pflegeversicherung: Höhere Beiträge und bessere Leistung
Die Regierung will die Pflege reformieren. Pfleger und Angehörige haben ihre Belastungsgrenzen längst erreicht.
Berlin. „Die Menschlichkeit unserer Gesellschaft muss sich gerade darin zeigen, wie wir mit Pflegebedürftigen und Kranken umgehen“, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nach dem Kabinettsbeschluss zu seinem Pflegeentwurf gestern in Berlin. Die Reform wird nun noch im Bundestag beraten. Ein Überblick über Pläne, Probleme und Perspektiven.
Pflege bedeutet nach wie vor ein Armutsrisiko. Der Eigenanteil für Betroffene oder Angehörige für einen Heimplatz ist laut jüngstem Pflegereport der Krankenkasse Barmer GEK auf im Schnitt bis zu 1802 Euro pro Monat bei Pflegestufe III gestiegen. Nicht alle bekommen aber Leistungen: Bis zu 250 000 Demenzkranke gehen leer aus. Andere bekommen zu wenig Aufmerksamkeit. Zehntausende Fachkräfte fehlen. Auf 100 offene Stellen kommen laut Bundesagentur für Arbeit nur rund 40 arbeitslose Pflegefachkräfte.
Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte bis zum Jahr 2030 von rund 2,4 auf rund 3,4 Millionen steigen. Eine Lücke von bis zu 500 000 Vollzeitstellen in der Langzeitpflege erwartet der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang binnen 20 Jahren.
Die Leistungen sollen um vier Prozent steigen — für die vollstationäre Pflege in Stufe I ist das etwa eine Steigerung von 1023 auf rund 1064 Euro pro Monat. Mehr Hilfe für Betreuung zu Hause soll es geben, auch die Zahl nachqualifizierter Betreuungskräfte in Heimen soll steigen und sich auf 45 000 fast verdoppeln. Kurzzeit- und Verhinderungspflege für bis zu vier Wochen Heimaufenthalt eines zu Hause gepflegten Menschen pro Jahr oder für ambulante Pflege soll stärker beansprucht werden können. Dies gilt auch für Tages- und Nachtpflege in Einrichtungen für bestimmte Zeiten am Tag. Lohnersatz soll es für eine zehntägige Auszeit zur Pflegeorganisation geben.
Der Pflegevorsorgefonds. Die CDU hatte ihn in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Bis 2033 sollen Milliardensummen angespart werden, mehr als 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Mit dem Geld sollen zu große Beitragsanhebungen ab 2034 verhindert werden, wenn die starken Geburtsjahrgänge 1959 bis 1967 ins typische Pflegealter kommen. Die SPD würde das Geld lieber in aktuelle Leistungsverbesserungen stecken.
Ein neuer Pflegebegriff soll 2017 eingeführt werden. Statt drei Stufen soll es fünf Pflegegrade geben. Kriterien sind auch geistige Fähigkeiten oder soziale Kontakte — Demenzkranke sollen systematisch in die Pflegeversicherung aufgenommen werden. Bei 2000 Bedürftigen soll es Begutachtungen probeweise nach altem und neuem Verfahren geben. Niemand soll dabei schlechtergestellt werden als heute.
Der Beitragssatz soll zum 1. Januar von 2,05 Prozent (Kinderlose: 2,3 Prozent) um 0,3 Punkte steigen. Dies bringt gut 3,6 Milliarden Euro. Weitere 0,2 Punkte sollen mit Einführung des neuen Pflegebegriffs dazukommen.
Wohl nicht komplett. Es ist offen, wie stark ebenfalls anlaufende Bemühungen zur Gewinnung von mehr Pflegekräften fruchten. Der Bedarf ist enorm und wird noch steigen. AOK-Chef Jürgen Graalmann etwa mahnt gedämpfte Erwartungen an. So würden die für den neuen Pflegebegriff vorgesehenen 2,4 Milliarden Euro kaum ausreichen.