Evangelischen Kirche Präses Manfred Rekowski im Interview: Der Papst ist mediengängig
Präses Manfred Rekowski über den Umgang mit Flüchtlingen, Kirchenaustritte und das katholische Kirchenoberhaupt.
Düsseldorf. Beim seinem Redaktionsbesuch beklagt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, dass sich die europäische Politik in der Flüchtlingsfrage nur im Schneckentempo bewegt.
Herr Rekowski, die zunehmende Zahl der Flüchtlinge stellt große Anforderungen an die Gesellschaft. Was macht die Evangelische Kirche?
Manfred Rekowski: Aktivitäten in der Flüchtlingshilfe gehören seit jeher zu den Aufgaben der Kirche. Die biblische Formulierung „Du sollst den Fremdling nicht bedrücken und nicht bedrängen“ prägt unseren Blick auf Flüchtlinge und unser Tun. Wir stellen etwa Gemeindehäuser als Quartiere zur Verfügung, Ehrenamtliche helfen zum Beispiel mit Sprachkursen oder bei Behördengängen. Auch leisten wir Hilfe bei der Familienzusammenführung.
Helfen Sie auch weiterhin durch die Gewährung von Kirchenasyl — indem Sie also von Abschiebung bedrohten Menschen eine Zufluchtsstätte geben?
Rekowski: Ja, aber das ist alles andere als ein Massenphänomen. In NRW sind es etwas mehr als 50 Fälle. Es gibt manchmal Situationen, wo Abschiebungen nicht zu verantworten sind, wo man noch mal ein zweites Mal hingucken muss. Das erschüttert nicht den Rechtsstaat, wir wollen nur noch mal eine Denkpause erzwingen. Wir sind nicht im rechtsfreien Raum, aber es gibt Fälle, in denen geltendes Recht den Menschen nicht gerecht wird. Da leisten wir einen Beitrag zu humanitären Einzelfall-Lösungen. In gutem Kontakt zu Ministerien und Behörden. Viele der Menschen, die im Kirchenasyl waren, sind ja auch später anerkannt worden. Die Quote liegt sogar bei 80 Prozent.
Aber solche Hilfestellungen helfen nur wenigen.
Rekowski: Ja, darum sprechen wir auch im Hintergrund darüber, ob nicht die europäischen Kirchen ihre Stimme gemeinsam erheben müssen. Bei der Politik ist nämlich nur wenig Bewegung auf europäischer Ebene. Es geht im Schneckentempo voran. Von den Kirchen könnte Druck auf die Politik kommen. Auch könnten mit den Partnerkirchen gemeinsame Hilfsprojekte angestoßen werden.
Und hier bei uns? Stoßen wir da nicht bei der Flüchtlingsunterbringung an Grenzen?
Rekowski: Die Herausforderungen wachsen schneller, als die Lösungen reifen. Es braucht einen großen Kraftakt. Quartiere müssen winterfest gemacht werden. Gleichzeitig muss sich aber auch die Verfahrensdauer verkürzen.
Es gibt in der Bevölkerung viele ehrenamtliche Helfer, aber auf der anderen Seite auch eine unglaubliche Hartherzigkeit gegenüber den Flüchtlingen.
Rekowski: Eine Grundhaltung der Fremdenfeindlichkeit war immer latent in der Gesellschaft vorhanden, und diese tritt bei solchen Entwicklungen verstärkt zutage. Hier muss man deutlich Position beziehen und gleichzeitig etwa in Schulen oder in der Jugendarbeit für den Abbau von Vorurteilen sorgen.
Die Kirchen haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Wie sieht es bei der Evangelischen Kirche im Rheinland aus?
Rekowski: 2013 hatten wir 19 000 Austritte, für 2014 gehen wir von 27 000 Austritten aus. Wir kennen zwar nicht die Gründe, aber es gibt wohl einen Zusammenhang mit dem neuen Verfahren, nach dem Kirchensteuer auf Kapitalerträge erhoben wird.
Und wie sieht es mit den Eintrittszahlen aus?
Rekowski: Im vergangenen Jahr waren es rund 6000. Zu 35 Prozent sind es ehemalige Kirchenmitglieder, zu 25 Prozent sind es ehemalige Katholiken.
Die Evangelische Kirche im Rheinland zählt etwa 2,6 Millionen Mitglieder. Wie können Sie verhindern, dass die Zahl weiter sinkt?
Rekowski: Neben dem allgemeinen Bevölkerungsschwund gilt: Überall in der Gesellschaft haben es Großorganisationen schwer. Ob es die Gewerkschaften sind oder auch Vereine. Da sind wir auch Opfer eines Megatrends. Doch es es gibt bei uns viel Engagement — von Besuchsdiensten in Heimen bis zur Jugendfreizeit. Und vitale Gottesdienste. Darauf bin ich stolz. Trotzdem müssen wir wachsam sein. Wir müssen auf Ballhöhe mit der Gesellschaft sein. Wer will, dass die Kirche bleibt, darf nicht wollen, dass sie so bleibt, wie sie ist. Aber was bleibt, ist unsere Botschaft.
Da klingen Sie anders als die Katholische Kirche mit ihren kaum verrückbaren Traditionen. Gleichzeitig aber hat die „Konkurrenz“ einen medial besonders sichtbaren Papst. Macht Sie das neidisch?
Rekowski: Optisch verlieren wir da immer. Aber wir müssen uns nicht verstecken.
Aber der Papst ist doch auch modern, macht sich für Umweltthemen stark.
Rekowski: Ich habe seine neue Enzyklika zu Ökologie und Schöpfungsfragen quergelesen. Ich stimme seinen Aussagen durchweg zu, aber der Neuigkeitswert war für mich bei null. Das sind Positionen, die wir schon seit Jahren vertreten. Der Papst hat, das muss man neidlos anerkennen, ein gutes Gespür für Symbolhandlungen. Er ist einfach mediengängig.
Aber Sie persönlich fallen doch auch auf, wenn Sie in ihrer Wahlheimat Wuppertal im gelben Elektroauto über die Straßen fahren?
Rekowski: Ja, da bekomme ich schöne Reaktionen. Kinder kreischen, Rentner gucken verstört und japanische Touristen zücken das Handy.