Raketen auf Israel machen die Hamas populär

Den Islamisten im Gazastreifen kommt die Eskalation gelegen, denn sie übertüncht die eigene Krise.

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Jerusalem. Wenn in Jerusalem die Sirenen heulen, jubeln die Palästinenser im Ostteil der Stadt. Viele laufen hinaus ins Freie und starren in den blauen Sommerhimmel, um vielleicht einen Blick auf die Raketen zu erheischen, die die islamistische Hamas immer wieder aus dem Gazastreifen abfeuert. Die Israelis suchen beim Ertönen der Alarmsignale eher ihre Schutzräume auf. Für die Palästinenser im israelisch annektierten Ost-Jerusalem gibt es solche meist nicht.

Vor den recht unpräzisen Hamas-Raketen, die sie bejubeln, schützt aber auch sie das israelische Raketenabwehrsystem „Eisenkuppel“. Schutzlos hingegen sind die Palästinenser im Gazastreifen den Angriffen der israelischen Luftwaffe ausgesetzt. Auch wenn die israelischen Streitkräfte betonen, mit ihren Präzisionswaffen würden sie lediglich auf die „Infrastruktur des Terrors“ zielen — das heißt auf Raketenstellungen, Waffenlager und Zentralen der Hamas.

Mehr als 100 Menschen kamen seit Beginn der israelischen Angriffe im dicht besiedelten Gazastreifen ums Leben. Zwei Drittel davon Zivilisten, sagen die palästinensischen Rettungsdienste — zwei Drittel davon Militante, sagt die israelische Armee. So oder so — der zivile Blutzoll ist schon jetzt beträchtlich.

Der militärische Schlagabtausch — so meinen palästinensische Beobachter — nützt der seit 2007 im Gazastreifen herrschenden Hamas. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der stets auf Verhandlungen mit Israel setzt, scheint dagegen auf verlorenem Posten. „Der Gazakrieg hat die von Abbas geführte palästinensische Autonomiebehörde politisch und in den Augen der Öffentlichkeit demontiert“, befindet Ibrahim Deibis, Kommentator der palästinensischen Tageszeitung „Al-Quds“.

„Abbas erscheint als jemand, der nichts tut. Die Hamas hat hingegen zumindest kurzfristig gewonnen“, sagt Deibis. „Die Leute sehen, wie die Raketen auf Tel Aviv, die Atomstadt Dimona und andere Orte niederregnen und freuen sich.“ Selbst Abbas’ eigene Bewegung, die nationalistische Fatah, ist voll des Lobes für die Geschosse.

Noch bis vor kurzem steckte die Hamas in einer schweren Krise. Der Regimewechsel in Ägypten, wo das Militär vor einem Jahr die Hamas-freundliche Führung aus den Reihen der Muslimbruderschaft entmachtet hatte, und das Zerwürfnis mit dem syrischen Autokraten Baschar al-Assad hat sie isoliert und ihrer Nachschubwege beraubt. Elend und Not im Gazastreifen stiegen dramatisch an. Der vermeintlich wirkungsvolle „Widerstand“ aus den Raketenstellungen ließ viele Menschen die Misere vergessen.

Doch der Effekt werde nicht von langer Dauer sein, warnt Deibis. Wenn Israel mit Bodentruppen einmarschiert und die Verluste der Bevölkerung weiter in die Höhe schnellen, werde die Stimmung umschlagen. „Je mehr die Menschen in Gaza leiden müssen, desto schwieriger wird es für die Hamas werden, ihnen zu erklären, wofür sie denn einen so hohen Preis zahlen müssen.“ Die Islamisten-Bewegung täte deshalb gut daran, eine Waffenruhe mit Israel zu vereinbaren, so lange sie noch das Ruder in der Hand habe.