Sex ohne Folgen: Die Pille wird 50
Pharma-Revolution: 1960 kam das erste Präparat auf den Markt. Heute nutzen 120 Millionen Frauen weltweit das Verhütungsmittel.
Hamburg. Die katholische Kirche lehnt sie strikt ab, Millionen Frauen dagegen hat sie das Leben erleichtert: Die Anti-Baby-Pille feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Vor einem halben Jahrhundert, am 9. Mai 1960, wurde sie in den USA zugelassen. Am 18. August 1960 kam das erste Präparat "Evonid" in den USA auf den Markt. Deutsche Frauen konnten die Pille im darauffolgenden Jahr schlucken.
Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sagt: "Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation. Ich gehöre zu der Frauengeneration, die die ersten Jahre noch ohne Pille erlebt hat: voller Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft." Carl Djerassi, der Erfinder der Pille, verdiene ein Denkmal. Maureen Cronin, die Chefin der Medizin im Bereich Frauengesundheit beim Pharma-Konzern Bayer-Schering, betont: "Die Pille und die Möglichkeit zur Abtreibung waren für Frauen wesentliche Errungenschaften, die ihre Lebensqualität erhöht haben."
Die katholische Kirche sieht das freilich völlig anders. Zum 40.Jahrestag des als "Pillen-Enzyklika" bekanntgewordenen päpstlichen Lehrschreibens "Humanae Vitae" von 1968 bekräftigte Papst Benedikt XVI. die Ablehnung jeglicher Form von künstlicher Empfängnisverhütung. 1968 hatte Papst PaulVI. in seinem Schreiben Verhütung verboten. Er ging dafür als "Pillen-Paul" in die Geschichte ein.
Nach Angaben des Mainzer Professors für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Norbert Paul, nehmen weltweit bis zu 120Millionen Frauen hormonelle Verhütungsmittel ein. Am beliebtesten sind sie in Nord- und Mitteleuropa, wo rund 40 bis 60Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter zur Pille greifen.
In vielen islamischen Ländern werde die Pille inzwischen zur Geburtenkontrolle vor allem in der Ehe eingesetzt, auch damit Frauen sich durch Gebärpausen regenerieren können, erläutert Paul. In China, wo traditionelle Medizin eine große Rolle spielt, hat es die Pille dagegen schwer - trotz staatlich verordneter Ein-Kind-Politik und selbst, wenn das Verhütungsmittel staatlich subventioniert angeboten wird.
Eins aber hat die Pille auf der ganzen Welt erreicht: Sie hat Sex endgültig von der Fortpflanzung abgekoppelt. Für den Mainzer Professor Paul ist sie darum ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kontrolle der Biologie, der seinen vorläufigen Höhepunkt in der Möglichkeit der künstlichen Befruchtung gefunden habe. "Die größere gesellschaftliche Umwälzung ist nicht, dass man durch die Pille Sex haben kann, ohne sich fortzupflanzen, sondern dass man sich durch neue Laborverfahren fortpflanzen kann, ohne Sex zu haben", sagt er.