UN-Migrationspakt Zoff um Spielregeln der Migration

Berlin · Der Bundestag debattiert den UN-Migrationspakt – die AfD stellt sich gegen alle anderen Fraktionen. Der Liberale Lambsdorff knöpft sich Alice Weidel vor.

Fingerzeig: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht bei der namentlichen Abstimmung über den UN-Migrationspakt im Kreis der Abgeordneten.

Foto: dpa/Carsten Koall

Alice Weidel findet das gar nicht witzig. Sie winkt demonstrativ ab. FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, bekennender Migrant, hat sich soeben die AfD-Fraktionschefin vorgeknöpft. Seine Familie, so Lambsdorff, sei im Jahr 1248 ausgewandert und vor rund 100 Jahren zurückgekehrt. „Frau Weidel ist mal in die Schweiz migriert“, stichelt Lambsdorff. „Und migriert hoffentlich sicher, geordnet und regulär nach Deutschland zurück.“ Der große UN-Migrationspakt ist im Kleinen des Bundestages angekommen.

Kürzlich wurde berichtet, Weidel verlasse das schweizerische Biel, weil sie sich dort angeblich nicht mehr willkommen fühle. Vielleicht, so Lambsdorff weiter, habe der Ortswechsel auch mit der Initiative der schweizerischen Volkspartei gegen „Massenzuwanderung“ zu tun, „die sich insbesondere gegen Deutsche richtete“. Im Hohen Haus wird herzhaft gefeixt, nur nicht bei der AfD, nur nicht Weidel. Die Nadelstiche des Liberalen sind allerdings weitgehend die einzigen, die bei der Debatte um den UN-Migrationspakt gesetzt werden.

Es geht weniger hitzig zu als erwartet im Bundestag. Sieht man mal von Zwischenrufen wie „Fake News“ bei der Rede von Außenminister Heiko Maas (SPD) und „Lügner“ bei den Ausführungen von AfD-Mann Gottfried Curio ab. Verwunderlich ist die eher unaufgeregte Atmosphäre nicht: Zum einen hat die große Koalition schon vorher die Kuh vom Eis geholt mit einem Entschließungsantrag, in dem der Pakt begrüßt und noch einmal klar gestellt wird, dass die Souveränität Deutschlands unangetastet bleibt bei der Gesetzgebung, also bei der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung.

Die Koalition stimmt dem Papier später fast geschlossen zu. Zum anderen haben Gegner und Befürworter in den letzten Wochen viel von ihrem argumentativen Pulver verschossen. Im Parlament zeigt sich: Zwei Welten prallen aufeinander. Entweder, man ist für den Pakt, wie Union, SPD, Grüne, FDP und zähneknirschend die Linke, weil er aus ihrer Sicht unverbindlich ist und Standards setzt, die Deutschland schon längst erfüllt. Oder man ist gegen ihn wie die AfD, weil der Pakt die Migration vermeintlich ausweitet und Deutschland nicht entlastet. Dazwischen gibt es nichts.

Die Kanzlerin holt sich
außenpolitischen Rat

Die Kanzlerin nutzt jedenfalls die Gelegenheit, sich außenpolitischen Rat zu holen. Während AfD-Redner Curio den Pakt verdammt („von Zurückweisung an den Grenzen findet sich kein Wort“), setzt sich Merkel mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), in die hinteren Reihen. Es geht um die Russland-Ukraine-Krise. Ein Brandherd, der für die Kanzlerin erkennbar wichtiger ist als der Streit um den Migrationspakt.

Auch nimmt sie Außenminister Maas für ein Vier-Augen-Gespräch zur Seite. Merkel selbst greift in die Debatte nicht ein, aber immer dann, wenn die Notwendigkeit der UN-Vereinbarung betont wird, nickt sie zustimmend.

Erstmals, so Maas in seiner Rede, gebe sich die Staatengemeinschaft gemeinsame Ziele, „die der Reduzierung der Migration dienen“. Der Pakt sei keine „internationale Verschwörung“, sondern im deutschen Interesse. Vieles in der Vereinbarung sei hierzulande schon Realität, ergänzt der Minister.

„Ja, schlimm genug“, kommentiert Curio. Die Vereinbarung sei „ein trojanisches Pferd“, wettert der AfD-Mann im Stakkato. Eben nicht, entgegnet ihm Unionsfrau Andrea Lindholz. Migration sei ein globales Phänomen, das man nicht national lösen könne, betont Lindholz. „Es geht um klare und faire Leitlinien“, betont die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger.

Und die Linke Petra Pau erinnert im Plenum schließlich daran, dass Migranten auch „Menschen mit einer Würde“ seien. Den Linken geht deswegen der Migrationspakt nicht weit genug.