SPD rüstet sich für Europawahl
Gabriel baut die SPD nach seinen Wünschen um und genießt öffentlich seine Macht.
Berlin/Brüssel. Der große Vorsitzende beliebt zu scherzen. Als er den 54-jährigen Parteilinken Ralf Stegner zur Wahl als stellvertretenden SPD-Vorsitzenden empfiehlt, sagt Sigmar Gabriel, „dass der Ralf sich mehr vorgestellt hat“. Nämlich Generalsekretär. So rührt man in einer Wunde. Der Vizekanzler kommt dann zu Yasmin Fahimi, die nun statt Stegner diesen Job bekommen soll. Aber nur, so lässt er durchblicken, weil eine Frau das werden musste. Er stellt die 46-jährige Gewerkschaftssekretärin vor und schiebt plötzlich ein: „So eine wie die Andrea finden wir nicht wieder.“ Bloß Quotenfrau und dann auch noch schlechter als Vorgängerin Andrea Nahles — das macht den Start für die Seiteneinsteigerin Fahimi nicht eben leichter.
Aber Gabriel, der immer mehr zum Patron der SPD geworden ist, merkt solche Fehltritte nicht mehr. Stegner bekommt bescheidene 78,3 Prozent der Stimmen, Fahimi, die ihre Vorstellungsrede vom Blatt abliest, immerhin 88,5 Prozent. Beide haben keine Gegenkandidaten, auch nicht der neue Schatzmeister, der 49-jährige Dietmar Nietan, der auf 84,3 Prozent der Stimmen kommt. Wegen verschiedener Personalwechsel in die Regierung waren die Nachwahlen und damit der Sonderparteitag in Berlin notwendig geworden.
Star des Tages ist Martin Schulz, der mit geschlossen wirkenden 97,3 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmt wird. Das, obwohl der 58-Jährige in den über zehn Jahren seit er die deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament anführt, immer katastrophalere Ergebnisse eingefahren hat: Erst 21,5, dann 20,8 Prozent. Jetzt will er EU-Kommissionspräsident werden, wie er ankündigt. Die parallel stattfindenden Europaparteitage der „Alternative für Deutschland“ und der CSU sowie der bevorstehende Parteitag der Linken bieten den Sozialdemokraten dafür die Argumente: Man werde sich den „rechten und linken Europagegnern“ entgegenstemmen, donnert Gabriel in den Saal. Es werde ein Europawahlkampf, „wie wir ihn noch nie geführt haben“.
Sigmar Gabriel über Andrea Nahles’ Leistung als Generalsekretärin
Noch nie gesehen hätte man beinahe, dass unter den ersten 26 Bewerbern auf der SPD-Liste, also in jenem Feld, das noch Aussicht auf ein Mandat hat, kein einziger Ostdeutscher gewesen wäre. Wohl aber acht Bewerber aus Nordrhein-Westfalen, das ungefähr gleich viele Einwohner hat. Das liegt an den niedrigen Mitgliederzahlen in den neuen Ländern. Am Vorabend des Parteitages intervenierte Gabriel, und die Liste wurde in letzter Minute neu geordnet. Jetzt sind alle fünf neuen Länder mit je einem Kandidaten aussichtsreich vertreten, und auf Platz zehn gibt es sogar eine kleine Sensation. Den bekommt mit der 58 Jahre alten Sylvia-Yvonne Kaufmann ein ehemaliges SED- und PDS-Mitglied. Die Berlinerin hat bis 2009 bereits zehn Jahre lang für die Linken im Europaparlament gesessen und sich dann mit ihnen überworfen, weil sie sie für europafeindlich hält. Ihre Kandidatur ist ein Signal: Das Verbot der Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder geht in der SPD zu Ende.
Der Sonderparteitag zeigt: Die SPD hat mit dem Gang der Dinge seit der verlorenen Bundestagswahl ihren tiefen Frieden gefunden. Man ist stolz darauf, mit dem Mitgliederentscheid Maßstäbe gesetzt zu haben, und man empfindet den eigenen Start in der Regierung als entschlossen. Es gibt auf dem Parteitag keinerlei Kritik an Kurs oder Personen, Nullkommanull. Gabriel baut sein Wirtschaftsministerium derzeit zu einem kleinen Nebenkanzleramt um; die SPD-Minister werden von dort aus eng koordiniert. Man sei keine Gegenregierung, betont der Vizekanzler zwar. „Wir sind verlässliche Partner.“ Doch besteht er auch darauf, den Koalitionsvertrag „auf Punkt und Komma“ umzusetzen.
Gabriel hat alles im Griff. Außer eben seinen gelegentlichen Hang zu Späßchen auf Kosten anderer. Viele hätten beim Übergang in die große Koalition geholfen, sagt Gabriel und ergänzt dann unvermittelt: „Viele bewusst und mache unbewusst wie einzelne Redakteurinnen des ZDF.“ Auch Marietta Slomka, nicht anwesend, muss also herhalten für einen kleinen Zusatztriumph von Sigmar Gabriel.