Koalitionsfindung Das sind die bisherigen Absprachen der Ampel-Parteien im Überblick

Berlin · Ein Papier der möglichen Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP umfasst zwölf Seiten. Unter anderem soll es nach ihrem gemeinsamen Willen einen höheren Mindestlohn, einen früheren Kohleausstieg und mehr gesellschaftliche Vielfalt geben. Doch es gibt auch Kritik. Ein Überblick.

 Ein Papier der möglichen Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP umfasst zwölf Seiten.

Ein Papier der möglichen Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP umfasst zwölf Seiten.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Der SPD-Vorstand hat einstimmig die Sondierungsergebnisse gebilligt. Damit können Koalitionsgesprächen mit Grünen und FDP seitens der SPD beginnen. Der Beschluss fiel am Freitagnachmittag einstimmig, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Grüne und FDP wollen ihre Entscheidungen am Sonntag und Montag treffen.

Auf zwölf Seiten haben SPD, Grüne und FDP die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche zusammengefasst. Die angestrebte Ampel-Koalition soll zahlreiche Reformen auf den Weg bringen. "Wir wollen eine Regierung auch für diejenigen sein, die uns bei dieser Bundestagswahl ihre Stimme nicht gegeben haben", heißt es in dem Text. Allerdings mussten die drei Parteien jeweils auch auf einige ihrer Ziele verzichten.

Moderner Staat

Die Digitalisierung soll vorangetrieben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren möglichst halbiert werden. Neue Formen des Bürgerdialogs sollen mehr Chancen zur Teilhabe bieten.

Klima und Umwelt

Um Deutschland bei Klimaschutz auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, soll der Ökostrom-Ausbau drastisch beschleunigt werden. Solaranlagen sollen bei gewerblichen Neubauten Pflicht, bei neuen Privathäusern die Regel werden. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für Windkraft an Land ausgewiesen werden. Der Kohleausstieg soll "idealerweise" bereits bis 2030 erfolgen.

SPD, Grünen und FDP streben einen schnelleren Kohleausstieg an. In einem gemeinsamen Papier der drei Parteien zu den Ergebnissen der Sondierungen heißt es: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030.“ Bisher ist der Kohleausstieg bis spätestens 2038 geplant.

Weiter heißt es in dem Papier: „Das verlangt den von uns angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken.“

Die betroffenen Regionen könnten weiterhin auf solidarische Unterstützung zählen. Maßnahmen des Strukturstärkungsgesetzes werden vorgezogen beziehungsweise beschleunigt werden. „Die flankierenden arbeitspolitischen Maßnahmen wie das Anpassungsgeld werden entsprechend angepasst. Niemand wird ins Bergfreie fallen.“

Unterstützt wird der EU-Vorschlag, ab 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zuzulassen; in Deutschland soll dies schon früher wirksam werden. Artenvielfalt soll besser geschützt werden.

SPD, Grüne und FDP wollen kein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen. In einem gemeinsamen Papier der drei Parteien zu den Ergebnissen der Sondierungen heißt es: „Wir wollen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen und dafür den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur massiv beschleunigen. Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben.“

Grünen-Chef Robert Habeck sagte, es sei in dem gemeinsamen Papier darum gegangen, Klarheit zu schaffen. „Das Tempolimit konnten wir nicht durchsetzen. An anderen Stellen sind wir sehr zufrieden.“

Die FDP ist gegen ein generelles Tempolimit. In dem Papier heißt es weiter, in den Verhandlungen über das EU-Programm „Fit for 55“ sollten die Vorschläge der EU-Kommission unterstützt werden - dabei geht es um deutlich mehr Anstrengungen für den Klimaschutz.

In den einzelnen Sektoren sollten die Instrumente möglichst technologieneutral ausgestaltet werden: „Gemäß den Vorschlägen der EU-Kommission hieße das im Verkehrsbereich, dass in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden - entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus.“

Arbeit

Der gesetzliche Mindestlohn soll auf zwölf Euro steigen. Die Verdienstgrenze für Minijobs wird auf 520 Euro erhöht, für Midijobs auf 1600 Euro. Arbeitszeit soll flexibler gestaltet werden. Der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt soll - auch bei Führungspositionen - entgegengewirkt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden.

Grüne und FDP planen in einer möglichen gemeinsamen Bundesregierung keine Steuer-Entlastungen für Geringverdiener. Solche Entlastungsversprechen seien nach den Sondierungsgesprächen nicht vorgesehen, sagte Grünen-Chef Robert Habeck am Freitag in Berlin. „Das ist halt der Preis, den wir zahlen, weil die FDP sich an der Stelle durchgesetzt hat.“ Solche Entlastungen wären nur zu stemmen, wenn man die Steuern für Spitzenverdiener anheben würde - und das hätten die Liberalen abgelehnt.

In ihrem Sondierungspapier haben die Unterhändler von SPD, Grünen und FDP festgehalten, dass keine Steuern erhöht werden sollen. Ausreichenden Investitionen etwa in den Klimaschutz stehe das aber nicht im Weg, betonte Habeck.

Soziales

Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden, das auch mehr Zuverdienstmöglichkeiten enthält. Familienpolitische Leistungen sollen in einer Kindergrundsicherung gebündelt werden. Geplant ist eine Offensive für mehr Pflegepersonal. Eine Bürgerversicherung soll es nicht geben - es bleibt beim Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Das Bafög soll elternunabhängiger gestaltet werden.

Renten

Das Rentenniveau soll beim Stand von 48 Prozent gesichert werden, eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird ausgeschlossen. Erstmals soll es einen Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung für die gesetzliche Rentenversicherung geben. Die private Altersvorsorge soll durch einen öffentlich verantworteten Fonds gestärkt werden.

Haushalt und Finanzen

Notwendige Zukunftsinvestitionen sollen "im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse" ermöglicht werden, besonders für Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung. Steuern wie die Einkommen-, Unternehmen- und Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden. Auch soll es keine neuen Substanzsteuern geben - wie zum Beispiel eine Vermögensteuer. Steuerhinterziehung und -vermeidung sollen entschiedener bekämpft werden. Um Spielräume zu gewinnen, soll der Haushalt auf überflüssige sowie klimaschädliche Subventionen überprüft werden.

Wirtschaft und Innovation

Unternehmen sollen bei der anstehenden sozial-ökologischen Transformation "bestmöglich" unterstützt werden - insbesondere auch Mittelstand und Handwerk. Die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Unternehmen soll attraktiver werden. Der Anteil der gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung soll auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen.

Wohnen und Mieten

Um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen, sollen pro Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 öffentlich geförderte. Umgesetzt werden soll dies durch ein "Bündnis bezahlbarer Wohnraum". Geltende Mieterschutzregeln sollen verlängert werden, einen Mietendeckel soll es aber nicht geben. Die energetische Gebäudesanierung soll vorangetrieben, Klimaschutz bei Neubauten gestärkt werden.

Freiheit, Vielfalt und Demokratie

Die Ampel-Partner wollen Vielfalt in der Gesellschaft als Chance begreifen, gerechte Teilhabe sichern und Diskriminierung klar entgegentreten. Gesetze etwa im Familienrecht sollen entsprechend angepasst werden. Jede Form der Menschenfeindlichkeit soll bekämpft werden. Genannt werden Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus und Queer-Feindlichkeit. Bürgerrechte sollen gestärkt werden.

Migration

Deutschland ist ein Einwanderungsland, dies soll im Staatsangehörigkeitsrecht zum Ausdruck kommen. Die Einwanderung von Fachkräften soll unter anderem durch ein Punktesystem erleichtert werden. Gut integrierte Ausländer in Deutschland sollen leichter einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, auch durch den sogenannten "Spurwechsel" von Asylbewerbern. Gegenüber Flüchtlingen wird eine humanitäre Verantwortung betont. Es soll legale Möglichkeiten zur Einreise geben, Familienzusammenführung, aber auch Abschiebungen sollen beschleunigt werden.

Sicherheit

Alle sollen sich in Deutschland sicher fühlen. Prävention soll ausgebaut, die Polizei gut ausgestattet und ausgebildet werden. Verbessert werden soll auch der Schutz vor Cyberattacken.

Außen und Verteidigung

Die EU soll stärker, demokratischer und handlungsfähiger werden. Internationales Handeln soll an den UN-Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden. Die Partner bekennen sich klar zur Nato. Die Ausrüstung der Bundeswehr soll verbessert werden, das Nato-Ziel eines BIP-Anteils von zwei Prozent für die Verteidigungsausgaben wird aber nicht genannt. Es soll eine abrüstungspolitische Offensive geben, Rüstungsexporte sollen restriktiv gehandhabt werden.

Wahlrecht

Ein neues Wahlrecht soll das Anwachsen der Zahl der Bundestagsabgeordneten verhindern. Das Wahlalter soll für Bundestag und EU-Parlament auf 16 Jahre gesenkt werden.

Kritik

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP in scharfer Form kritisiert. „Das ist keine Grundlage für eine Fortschrittskoalition, sondern für Linksträumereien. Die Ampel steht deutlich auf Rot“, urteilte Dobrindt am Freitag in Berlin. „Das ist ein linkes Programm“, fügte er hinzu.

„Die Ampel-Parteien planen eine Reihe von Steuererhöhungen, sie nennen das "Abbau von Subventionen"“, kritisierte der CSU-Politiker. Auch formulierten die drei Parteien „ein teures Paket, bei dem sie die Finanzierung der geplanten Maßnahmen offensichtlich verschleiern wollen“. Auch legten sie auf die Stabilität im Euro-Raum keinen Wert mehr und wollten stattdessen Schulden in Europa vergemeinschaften.

(dpa/AFP)